Freitag, 3. November 1922

3/11 Traum: sehe das Kind von Elschen Speidel, wundre mich, fast gerührt, dass es mit 3 Monaten schon spricht; auch die Aehnlichkeit mit den Großeltern rührt mich.― Dann: ich kehre heim ― Burgring,― von der Vorlesereise ― oder eigentlich von einem Theaterbesuch Liebelei;― man hat schon gespeist,― ich komme als Vater, und als Sohn ― Heini ist da, aber auch meine Mutter (?),― auch Onkel Max; es ist ½10 Abend;― auf der Treppe nach aufwärts, etwas heroinenhaft schreitet (nur von rückwärts sichtbar) H. K.… Ich komme, aber eigentlich kümmert sich niemand um mich, und sehe eigentlich nur Onkel Max.―

Abreise ½10, nach Teplitz. Lese Gasquet, Il y a une volupté dans la douleur. Ankunft nach 4. Hr. Wantoch (Buchhändler) erwartet mich an der Bahn;― begleitet mich ins Hotel Altes Rathaus;― schüttet sofort sein Herz aus wegen der unleidlichen Verhältnisse im Verlag S. Fischer, insbesondre wegen des Sortimenters in Leipzig, der irrsinnig und bösartig zu sein scheint. Ich werde jedenfalls unerhört geschädigt ―

Hr. Wantoch holt mich später ab,― in den Lindenhof. Überfüllter Saal. Werde lebhaft empfangen. Wie ich mich zum lesen hinsetze, ein Ruf von der Gallerie. Herr S., lesen Sie nur den Reigen. Todtenstille. Ich erwidre scharf: Nein, ich lese den Einakter Letzte Masken. Beginne, Unruhe Räuspern Scharren, ich merke die Absicht ― endlich wird es so stark, dass ich einhalten muß (in der Scene Halmschlöger ― Rademacher …). Ein paar Minuten Unruhe, und Versuche, sie zu unterdrücken. Ich frage laut. Wünschen die Damen und Herren, dass ich weiterlese? Donnernder Applaus. Ich lese weiter; mit verstärkter Stimme. Es wird für eine Weile ruhig ― in der Sc. Weihgast Rademacher gegen Ende wieder solche Unruhe, daß ich aufhöre. Die Unruhe verstärkt sich. Man will die Ruhestörer (eine Bande von Hakenkreuzlern, im Saal vertheilt) hinaus weisen ― ich beginne von neuem und bringe die letzten Masken zu Ende. Ich frage nachdem sich der Beifall gelegt … Soll ich jetzt eine Pause machen oder sofort weiterlesen?― „Weiterlesen.“ Ich lese die ersten Worte der Weihnachtseinkäufe ― die Unruhe wächst zum Skandal an,― im Vorraum (der sich ohne Thüren seitlich anschließt) Discussionen, Thätlichkeiten ― Leute aus dem Publikum zum Podium (Anhänger) Sie können nicht weiter lesen! … Andre: Weiter lesen … Ich ersuche „die Herren, welche mich nicht zu hören wünschen“ sich zu entfernen …, beginne nochmals die „Weihnachtseinkäufe“. Höllenlärm … Polizei ist angerückt, fünf Mann, machtlos, die hinausgewiesenen Subjekte dringen neu herein,― im Foyer Discussionen und Thätlichkeiten.― Ich rufe … „Ich ersuche die Herren, die etwas gegen meine Vorlesung haben, ihre Beschwerden an geeigneter Stelle vorzubringen.“ ― Dann fordre ich sie auf, wenn sie sich nicht entfernen wollen, sich in die vorderste Reihe zu setzen … Der Lärm steigt ins maßlose … Ich gehe vom Podium (Bühne) nach rückwärts;― ein Redacteur des Teplitzer Anzeigers stellt sich vor, entschuldigt sich quasi … wegen des „Culturskandals“ … Ich erwidre: Auf dergleichen muß man in Europa immer gefasst sein … Ein Herr aus dem Publikum flieht an mir vorbei und versteckt sich hinter einer Coulisse.― Ich trete wieder auf,― werde mit Applaus begrüßt ― der Saal ist in größter Unruhe, einige gehn, andre stehen auf Sesseln ― nochmals überschreie ich die Menge und sage. Ich werde etwas lesen, das sich am besten zum Abschluss dieses Abends eignet; meine Burleske: Zum großen Wurstl … Ich lese ein paar Worte ― muß endlich abbrechen … Hr. Wantoch holt mich von der Bühne; der Beleuchter führt mich, den Herrn hinter der Coulisse, der sich als beinahe gelyncht vorstellt, in den Keller, da sich vor dem Gebäude eine Anzahl der Lausbuben postirt haben und man annimmt dass sie es auf einen Überfall abgesehen haben. Wir bleiben aber kaum drei Minuten, und gehen über die Hintertreppe hinauf, wo wir in das hinausströmende Publikum gerathen;― es stehen thatsächlich ein paar Subjekte auf der Straße ― in Abständen vertheilt ― bemerken uns aber nicht und ich werde sofort von einigen mir unbekannten Damen flankirt, die sich in mich einhängen und erklären, mich „retten“ zu wollen;― eine junge Frau, und ein hübsches Mädchen, die sich als Doctorin der Germanistik vorstellt;― daneben noch andre Frauen; Wantoch, und mit hochgestelltem Kragen der Coulissenmann. Die Damen scheinen über den Zufall, der sie zu meinen eingehängten Begleiterinnen gemacht, sehr vergnügt, begleiten mich zum Hotel ― nun stehn 7 oder 8 mit mir in der Vorhalle ― und alle geben mir ihre Entréekarten, ich solle ihnen mein Autogramm geben, was ich thue. Das ganze wirkt wie eine Operettenscene;― dann entfernen sie sich, und ich nachtm. im Hotel mit Herrn Wantoch.

― Ich war während der ganzen Angelegenheit vollkommen ruhig geblieben;― nur an meinem mangelnden Appetit merkt ich, dass ich gegen Schluss doch nervös geworden war.―