Mittwoch, 13. September 1922

13/9 Traum; es ist Revolution, mindestens Unruhen ― ich in Touristenanzug, größer als wirklich, rechts, neben mir Bella Wengerow ― dann noch zwei schattenhafte Gestalten (die so oft in meinen Träumen da sind ― mein Verhältnis zu den Menschen ― ?) durch die Sensengasse (nah Offizierspital) sehr rüstig (wie zu Wanderung ausschreitend) ― Bella sagt etwas von einem „Wimmerl“ ― da sie W für R sagt, (erst gestern citirte O.: „das ist Belletwistik“), sagte ich: „Sie meinen wohl Rimmerl“, und ich (wir) lachen laut über den Witz ― zugleich frage ich mich, ob diese unzeitgemäße Lustigkeit nicht in der Menge (unsichtbar) übel aufgenommen werden würde … Versammlung in der Nähe, etwa Versorgungshaus, Strike od. dergl. ― ein untersetzter Mensch mit blondem Schnurrbart, rundem Hut, sagt (ungefähr), man solle nicht an die Gründe glauben, die vorgeschützt werden (für die Revolution) ― dies sei der einzige Grund ― und weist einen weißen leeren Suppenteller vor.―

Lilis 13. Geburtstag. Die Torte mit den 13 weißen und der rothen Kerze und sonst allerlei. In O.s Zimmer. Ich hatte aus der schönen Hofgärtnerei in aller Frühe Blumen geholt.― Gratulation,― ohne sehr viel Sentimentalität.― O. packt; ich gehe mit Lili spazieren, Kälberstein Kirchlein, wo wir eine Weile sitzen.― Zurück.― Mit O. eine Weile allein … Sie fühlt selbst, eine Rückkehr nach Wien jetzt unmöglich … ― in den kleinen Kreis auf den sie nun angewiesen, könne sie sich nicht beschränken ― die Stellung so vieler Leute ihr gegenüber … aber einen festen Punkt müsse sie umso mehr haben … Behaglichkeit, nicht immer aus dem Koffer leben; Möglichkeit, ein Kind zeitweilig bei sich in der Wohnung zu haben;― auf die unbestimmte Möglichkeit, dass sie irgend einmal wieder bei mir im Hause wohnen würde ― könne sie keine Existenz gründen … Alles richtig;― nur bleibe auch (sage ich) so nichts übrig ― unter den heutigen Verhältnissen ― ein Provisorium … Frau L. erwartet sie in München;― die beiden Frauen werden vielleicht gemeinsam eine möblirte Wohnung nehmen und Wirtschaft führen (Frau L. hat eins ihrer Kinder bei sich) ― ― Sie habe über unser gestriges Gespräch nachgedacht … sie glaube doch;― daß ich wieder ihr die völlige Schuld gäbe ― meine „Anlage“ (Düsterkeit, Tyrannei!!) zu wenig in Betracht ziehe … u. s. w… Meine Antwort immer ― : gebe ich auch (wozu freilich kein Anlaß) die Jahre bis 19 preis ― ― ja, verstünd ich auch vollkommen ihr „Erlebnis“ und vielleicht dessen Notwendigkeit ― ; für ihr Verhalten während dieser unglückseligen Jahre, innerlich ― und äußerlich; gäbe es absolut keine mildernden Umstände.

Gemeinsames Essen; im Spazierengehn nachher die eifersüchtigen Fragen O.’s wieder.―

Am „Verf.“. Gemeins. heitres Nachtmahl.―