Dienstag, 12. September 1922

12/9 Berchtesgaden. Erwache ― verzweifelnd und in Thränen ― mit einem unendlichen Bedürfnis ― mich endlich einmal mit O. auszusprechen ― als hätt ichs nicht tausendmal gethan ― und im Grunde immer vergeblich. Erleichterung für ein paar Stunden;― dann ist alles wieder beim Alten. Und so hab ich die vorhergehenden Seiten ― zum hundertsten Mal dasselbe, hingeschrieben ― als hälfe das was!―

Ein Traum, erinnre mich sehr unklar,― spielt um die Votivkirche herum, nahe von Frankgasse immer,― endet damit, dass ich vor dem Hause Frkg. 1 (wo ich so lange gewohnt), zusammen mit jemandem (Prof. Redlich?) warten soll, aber mich irgend wie genire vor meinem einstigen Thor zu erwarten und ein paar Schritte weiter rücke. Hr. Fr. Fröhlich (die Hausherrn) kommen;― dann aber ists Frau Hellmann (Red.’ Schwester), die sich am Thor von ihm verabschiedet. (Vielfach determinirter Traum: O.s erste Besuche in der Frkg.;― mein Warten vor dem Thor vorigen Winter auf Dr. Gelber, wegen Rikola (Verlag),― meine Besuche dort Rikola, und Maler Horovitz, dem gestern eine Karte schrieb;― von Prof. R. erzählt man mir, er habe „religiösen Wahnsinn“ ― Frau H. seine Schwester katholisirt auch erheblich;― mit Lili gestriges Gespräch über Antisemitism. etc.) ―

Vm. bei O. im Zimmer ― Ihre Absichten. Annie Str. hat ihr eine Wohnung in Wien angetragen;― „aber das ist mir ja verboten“ … Ich sage: nicht verboten ― aber in jedem Sinn unrichtig. Sie: „ich gäbe sehr Acht auf mich“ … als wenn nur mein Egoismus sie von Wien fern hielte.― Es entwickelt sich eine Disc. ― die typisch verläuft … zuerst zeigt sich wieder ihr Mangel an Einsicht ― ihre Starrheit … was sie gethan … war nur die Folge … jahrelanger Behandlung durch mich … ― ich: und wenn ich auch die vorhergegangnen Jahre preisgäbe ― was von 1919 geschehn ― absolut unverantwortlich.― Sage ihr zum hundertsten Mal alles in den härtesten Worten; in denen aber wieder die enge „Zusammengehörigkeit“ klar wird;― sie wird weicher, partiell einsichtsvoll, zärtlich … Ihre Tendenz nach Hause zeigt sich unverhohlen; ich erkläre ihr, dass vorläufig eine Wiederkehr für alle ein Unglück wäre;― da wir beide nicht so weit … Irgend ein definitivum aber auswärts schaffen (Haus mit Frau L.) jedenfalls unter den heutigen Verhältnissen Unsinn. Wir sprechen viel von G.;― es werde (durch Alma) von ihr verlangt; sie solle ihn preisgeben, verleugnen ― das fände sie hässlich und dumm;― diese Jahre, diese Beziehung waren bedeutungsvoll, und so sehr sie seine Schwächen erkannt, er bleibe ein schwacher, aber sehr guter und künstlerisch höchst begabter Mensch. Wollte mir Briefe zeigen, was ich ablehnte … Daran schlossen sich unverzüglich „eifersüchtige“ Fragen nach H. K. und andern. Sie weinte, war aufgeschlossen … „mein Trotz ist ja nur künstlich ―“ ― es war wieder einmal die Vortäuschung des „Wunders“ ― erleichternd für den Moment, sogar erschütternd ― aber erlösend nicht. Und mir unangenehm bis zum peinlichen ihre Zärtlichkeit nach solchen Aussprachen;― und ihr „Gekränkt sein“, wenn Erwiderung nicht erfolgt.

― Gemeinsamer Mittag und Conditorei;― O. nach Salzburg. Regen, Regen. Am Verf.― Mit Lili allein genachtm. O. kam ½11 brachte ihre Koffer;― wir arrangirten Geburtstagtisch für Lili ―; sie war ganz „Liebe“ ― und beleidigt dass ich kühl blieb.―

1922-09-12