Samstag, 29. Juli 1922

29/7 Telegrafenamt (Ziegels Holländ. Gastspiel).―

― Zum „Schauer“. Verrechne mit O. und Heini, wobei wir viel lachen müssen.― Gerty Rheinhardt kommt an. Hinauf ins Elisabeth. Mit Gerty über Vicki und Mimi,― sie selbst trennt sich von Rheinh. und zieht nach Wien.

― Speisen auf der Terrasse Elisabeth. Wundersamer Sommertag. Nachher in dem schönen Park mit O. spazieren. Zuerst bittet sie mich die unbefugte Einmischung Ch.s abzuwehren, was ganz in meinem Sinne. Das Gespräch droht eine Weile wieder gefährlich zu werden. Ich erkläre ihr decidirt, daß ich das letzte Wort zu ihr gesprochen habe, wenn sie noch länger das Gefühl hege, ihr wäre von mir seit 3 Jahren, insbesondre in der Scheidungsache ein Unrecht geschehn;― („man habe ihr das Kind genommen“) ― rolle nochmals alles klar und überzeugend auf ― so dass man fast glauben könnte, sie habe begriffen. Wir reden freundschaftlich;― insbesondre über Erziehungsfragen Lili.― Viel über Gr.;― jener Ruf von ihr am 24. Feber ― weil sie damals ganz mit ihm gebrochen ― ; das eben wußte ich, und darum war ich nicht gekommen;― sie sah es nun sogar ein.― Über ihre Zukunft.― Wir standen auf dem Aussichtspunkt des Parks ― ergreifend schöner Blick über den sommerlichen See, ferne Herbstahnung; der Hotelier spricht über das Concert heut Abend und verschwindet wieder. Unser Gespräch geht weiter. Sie denkt daran, nach Weimar zu gehn, Gobelinknüpfen u. dergl. lernen;― ev. zu Bella Wengerow nach Berlin ― all das find ich problematisch.― „Ja was soll ich thun“ fragt sie?― Lili hat sie gebeten, die Kommode etc. im Zimmer auszuräumen, das O. einst bewohnt hat (oh … dieses „einst“) ― weil sie nun ihre Sachen dort unterbringen wollte;― dabei aber möchte sie die Mutter in einem Koffer mit nach Wien nehmen … „Nun werd ich noch ein paar Kisten mehr mit Sachen haben, die ich nicht auspacken kann …“ Sie empfindet glaub ich stärker die Unbequemlichkeit, ich die tiefe Tragik.―

― Daß ich mit ihr unter einem Dach nicht leben könne;― hatt ich ihr im Lauf des Gesprächs gesagt, sie denkt auch nicht dran ― doch mehr mit Rücksicht auf äußeres;― mir erscheinen im Lichte dieses Sommertags gemeinsame Reisen früherer Zeit;― die immer dunklere Zukunft, die Trübseligkeiten des Herbstes, des Alterns, der Einsamkeit ist auf dem Grund meiner Gedanken;― die Kinder und Gerty begegnen uns wieder ― ich nehme Abschied; lichte Sommergäste auf der Wiese, der Terrasse, Tennisplatz, Rosen in Fülle ― irgend was unvergessliches ― und spüre ― wie allein … allein … allein … Am Eingang meiner Hotelthür ein aus dem Nest gefallner Spatz, ich bring ihn Lili, die mit Olga Arm in Arm vorne geht ― zurück ― in unergründlicher Traurigkeit ― jetzt im Zimmer allein ― Blick über den See auf die westbesonnten Häuser von Berg und Leoni ― schreib ich diese Zeilen ― und Fernen sind zwischen mir ― und allen andern. Drüben auf jenem Hügelkamm, seh ich dort nicht, geisternde Gestalten ― mich selbst, die Lou Andreas-Salomé und Richard ― wie wir vor 28 Jahren an einem Sommertag spazierten ― ? Könnte man nur mit einem Menschen auf Erden dieses Gefühl von der Unheimlichkeit des Daseins theilen, so wär es erträglicher;― daß solche Momente isolirt im Lauf der Stunden und Tage stehn, ist unser Glück ― es wäre der Wahnsinn ― wenn man immer diese Schauer spürte.

Spaziergang in den Anlagen am See.―

Genachtm. bei Schauer.― Schuhplattlertanz im Hotel Garten.