Sonntag, 30. Juli 1922

30/7 S.― Viel geträumt. Eine Art Riesenkoffer,― wie in einem Schiff ― (?), steige in eine obere Lade; oben liegt schon; man, wer? sagts mir früher ― liegt H. K.;― ohne es thatsächlich zu erleben, autobiographire ich gleichsam, was „naturgemäß“ geschieht. Dann ein großer ansteigender Garten, zu einem (meinem) Hause gehörig, wo ich mit meiner Mutter wohne,― Nacht, oben im Garten H. K.; elektrische Lampen aufgedreht (von ihr);― ich liege auf einer Art Veranda, erwarte H. K. mit lasc. Geste; sie kommt und geht darauf ein;― leise die Treppen hinauf, daß die Mutter nicht erwacht. Ein Concertpodium wie für Orchester (Graz) ― für Lili, Heini, mich ― Lili soll zuerst vorlesen; Dunkelheit, versuche vergeblich verschiedene Schalter, es wird ¼8 ― endlich erscheint eine Art Wärterin, eilig, stürzt über die Stufen, fällt, wird von wem? mit Milch gelabt; schaltet ein ― ich solle sie nur immer dafür rufen ― eine Art Plüschvorhang oval zwischen Podium und Zuhörerraum ― eine Art Spinett steht da ― warum denn, Lili soll doch nicht Clavier spielen ― will es fortschaffen lassen,― Lili beklagt sich, daß sie das rechte Pult habe, und nun wolle ichs entfernen lassen ― da sehe ich dass sie (aber eigentlich sieht sie anders aus) an einem weißen Pültchen, davor ein kleiner runder Gartentisch lehnt ― ich merke plötzlich, daß ich alle meine Bücher zum vorlesen vergessen habe ― ich sage zu Heini, der mit Cylinder? da steht, er solle vor mir lesen ― ich will nach Haus fahren, mit Auto, die Bücher holen ― bin sehr irritirt und wache mit Absicht auf.―

Beim Frühstück auf der Terrasse mit Karpath amerikanische Urheberrechtsgeschichten (er vertritt eine Zeitung).―

Ins Schauer. Spazieren mit O., Heini, Lili, Chapiro und Frau in den schönen Anlagen. Ch. erzählt von seiner Haft in Genf, von Romain Rolland, der sich seine Briefe in fragwürdiger Weise zurückverschaffte;― ich erzähle ihm von Herzl.―

― Wir speisen alle auf der Terrasse Elisabeth ― spazieren und sitzen im Park. Frau Ch., eine sehr hübsche blonde Salzburgerin empfiehlt Berchtesgadner Ausflüge.―

Auf meinem Zimmer les ich Kraus „letzte Tage“ zu Ende; im ganzen eine ungewöhnliche Leistung,― aus seinem Temperament heraus sich manchmal zum dichterischen steigernd. Die Satire glänzend, bis zum großartigen;― man gesteht ihm unwillkürlich, bezwungen durch seine Kraft, das Recht auf Übertreibungen und Ungerechtigkeiten (durch Verschweigen von mancherlei) zu ― ohne die ja Satire nie auszukommen vermag.

Zum „Schauer“. O. erwartet mich, wir wandeln durch den schönen Sommerabend auf See- und Waldwegen nach Feldafing. Conventionelles Gespräch zuerst; allerlei geschäftliches aus Amerika; dann sie: Du hast aber hoffentlich auch gescheidteres zu thun; ich theile mit, dass ich „Weiher“ und „Verf.“ sozusagen fertig gemacht ― daß sie aber Spiegel aus edelm Material mit lauter Sprüngen vergleichbar … Mehr sag ich nicht davon und vermochte es auch nicht … Sie redet von Frau Korff, von Frau Lichtenstein ― und was sie nun eigentlich im Herbst beginnen solle ― wohin ― und was. Auch aus „materiellen“ Gründen. Ich weise darauf hin, dass diese Erwägungen überflüssiger als je bei den tollen Geldverhältnissen. Plötzlich findet sie, dass am Ende alles aufs Geld zurückzuführen sei, dass ihre Situation eine ganz andre wäre, wenn sie wie Frau K. Frau L. völlig unabhängig wäre. Abgesehn davon, dass auch diese es kaum völlig sind ― ich erinnere sie, dass sie wahrhaftig nicht zu klagen habe ― was sie wohl auch einsieht. Aber immerhin, was thun. Von Gesang, resp. Unterricht will sie absolut nichts wissen;― aber lebhaft denkt sie dran,― nach Weimar in die Kunstgewerbeschule zu gehn ― Gobelinweberei lernen ― und sieht hier plötzlich ― materielle Möglichkeiten!― Ich sage ihr: drei Jahre Studium ― und dann ― ?― Wie sonderbar, wie unvereinbar wieder mit ihrem geistigen Niveau ― dass so eine Idee ihr wie eine Art Rettung scheint … Sie redet sich sofort in einen gewissen Trotz hinein. Übrigens sieht sie nicht gut aus, Kopfweh, anaemisch … ― und mir wird so weh ums Herz, wie sie es nicht ahnen kann und soll. In zwei Worte gefasst: Sie thut mir unendlich leid ― und zugleich fühl ich immer stärker, dass es ein Zusammenleben zwischen uns nicht mehr geben kann.― Im „Elisabeth“ nachtmahlen wir alle; mit Chapiro’s.―

1922-07-30