Sonntag, 26. Juni 1921

26/6 S.― Oft unterbrochner Schlaf.― Schöner Sommermorgen. In meinem unbehagl. Zimmer wenig davon zu sehn. Es ist, wie durch ein Verhängnis, just der 26. geworden. Schrieb den gestrigen Tag in mein Tagebuch.―

― „Form“ ist nicht so wenig;― was heut vor sich gehn wird ― bedeutet, trotz dieser 2, 3 Jahre, sehr viel. Und doch, ich setze eine Hoffnung darauf. Es kann nur besser werden. In diesem Augenblick, da ich zur Scheidung gehe, fühl ich wie unzertrennlich ich mit ihr verbunden bin. Trotz aller Wahrheit, aller grauen- und schmerzensvoll durchlebten Wahrheit ― ist all das doch irgendwie ein „böser Traum“.―

― Auf die Maximilianstraße, hin und her; O. kam, mit ihr Herzog Rudolfstr. 18; mit Dr. Baerwald, hinauf zu dem alten Rabbiner Dr. Ehrentreu. Ferner dort Dr. Finkelscherer, ein eleganter Rabbinatscandidat mit Hornbrille, zwei Zeugen, der Schreiber. Zuerst ich allein, allerlei Fragen zu beantworten. Dann im Salon drei Stunden mit O.; Dr. B. leistete Gesellschaft, wir sprachen über Sinnlosigkeit und Sinn; ich citirte Kaufmann, der von „sinnlosem“ und „notwendigem Leid“ weiß; über Untergang des Abendlands,― ― über wünschenswerthe Reformen überlebter ritueller Formen, ihre Bedeutung, über Herzl, Beginn des Antisemitismus, Weg ins freie, Bernhardi.― B. ein feiner kluger Mensch.― Dann Dr. Finkelscherer, eine banalere Erscheinung.― Die Tochter des Hauses bringt Thee. Mit O. allein;― sie sah blaß und gealtert aus, ― erzählte dann, wie sie im Feber in Mannheim ein Zimmer suchte, aber davon Abstand nahm, als man ihr auf der Polizei sagte, man müsse sich in Wien bei mir erkundigen; ich unterdrückte meinen Zorn, war dadurch um so ruhiger bei der nun folgenden Ceremonie, auch als ich den Scheidebrief in ihre erhobenen Hände fallen ließ. Wir verabschiedeten uns, im Hausthor die Zeugen wunderten sich, als wir gemeinsam fortgingen.

In den Jahreszeiten, wir speisten miteinander; waren ganz gut zu einander. G. hatte sie in der früh begleitet, das rechte Wort nicht gefunden, ihr gesagt „Kopf hoch“, was allerdings nicht sehr gut ist.― Ich zeige ihr in der Hall das Dürer Buch, das mir H. Jacob mit andern aus dem Rechtverlag gesandt. Begleite sie zur Tram; sie möchte G. am liebsten „zum Teufel jagen“. Daß gerade in dieser Zeit, in den paar Wochen vor der Scheidung seine Untreue vorfiel, hat in ihr zerstörend gewirkt. „Ein Trümmerhaufen, mein ganzes Leben“ ― hatte sie schon früher, im Salon beim Rabbiner gesagt.― Sie hatte nicht übel Lust, gleich zu Alma auf den Kreuzberg zu fahren. Ich widerrieth. Sie solle, dürfe jetzt nichts überstürzen.― Es wird doch mit einer Heirat enden;― aber trotzdem nicht gut … Ich konnte nicht anders handeln als ich gethan. Es wäre vielleicht edel ― vielleicht groß gewesen,― noch jetzt in diesen Tagen sie zurückzuholen;― aber zu edel und groß für mich,― also dumm. Ich bin weniger aufgewühlt als ich gefürchtet;― daß dies vorüber ― dieser seit Jahren so oft mit dunkeln Lettern an die Wand gemalte Tag, hat, trotz alledem, etwas befreiendes.―

In der Halle las ich Le rouge et le noir zu Ende.―

Zu Dr. Ehrentreu, Gelder überbringen. Sprach nur seine Schwägerin, Frl. Rachel Feuchtwanger; sympathisch.

O. abgeholt; mit ihr Herzogspark, wie gestern.― Wir saßen eine Weile auf einer Bank; ich hatte Thränen in der Kehle;― sie wünschte, ich solle die Sache nicht so schwer nehmen;― insbesondre,― daß alles vergangne von nun an „versenkt“ sein solle. Nur möglich, wenn sie mit völliger Einsicht begreife … Immer wieder: ich habe sie „fortgetrieben“ … Selbst wenn das so wäre,― (was es nicht ist) ― die letzten zwei Jahre nie fortzuwischen; sie hätte damals gehn müssen … Sie hatte „Angst“ gehabt, die Kinder ganz zu verlieren.― „Was haben dir diese 2 Jahre geholfen“,― sage ich;― wir hätten damals so weit sein können wie heute;― und wären heute weiter.― Wir müssen nun ganz neu unsre Beziehungen aufbauen;― meint sie ― ich wäre doch ihr einziger Freund,― sie wolle mir alles schreiben,― ich solle ihr auch nicht mehr die kühlen officiellen Briefe schreiben wie in der letzten Zeit … ― Sie sprach davon, daß in Salzburg im Herbst 19 Harta, der ihr Bild gemalt, ihr heftig den Hof gemacht und das Bild stehn gelassen, als es vergeblich war;― auch Lucys Freund Bl.,― dem sie gesagt, der Geliebte ihrer Feundin sei ihr sacrosanct … Sie werde nie „degringoliren“ ― „Du weißt gar nicht“, hatte sie bei unserm Scheidungsmittagessen gesagt,― „was für Teufelein und Nichtsnutzigkeiten mir durch den Kopf gehen ―“ und offenbar mit dem Gedanken gespielt, sich ― mit mir für die Untreue G.s zu revanchiren.―

Wir nachtmahlten wieder im Leistbräu; sie begleitete mich zur Tram, war zärtlich, ich wehrte ab,― sie stand da, sah dem davonfahrenden Tramwagen nach;― wie nach einem Stelldichein. Ging zurück, zu Hause warteten G., Jacob und zwei junge Mädchen,― die für sie schwärmen.―