Dienstag, 21. Juni 1921

21/6 München. Schlechte Nacht. Des Morgens tiefe Verstimmung und Thränen.―

Zu Dr. Baerwald, Erläuterungen eingeholt wegen des für morgen bevorstehenden rituellen Vorgangs. Ich vermochte meiner Bewegung nicht Herr zu werden und schluchzte jämmerlich.―

In einer Privatklinik (isr. Schwesterheim), Oberin Melitta Feuchtwang der ich von ihrem Bruder Grüße bringe. Eine „Schwester“ sitzt eine Weile bei uns, und äußert allerlei naiv-freundliches; spricht von Weg ins freie und „Reigen“, den sie alle gelesen;― Oberin Melitta zeigt mir die Räume der Anstalt, auf Stiege und im Oper.-Saal werde ich einigen Aerzten vorgestellt.― Regen.

Ins Hotel; in der Hall wartet O.― Sie erzählt mir näheres von der vorgefallenen Krise.― G.;― durch den Wiener Aufenthalt, Mutter verhetzt, unsicher gemacht,― (und wohl auch durch den soidisant Absagebrief O.’s im Mai) ― verfällt einer häßlichen aber offenbar daemon. Primadonna;― O. (scheints) wird durch Freundin hin berufen (Rolle Rupert K.s und seiner Frau, Almas Tochter) ―; G. reißt sich los,― Scenen hinter den Coulissen;― Briefe zwischen den zwei Frauen (erst später);― O., die es als Schuld empfindet „ihn allein gelassen zu haben“ … ― Verwickelte innre und äußere Situation.― Ich erkläre mich bereit, mit der Mutter G. zu reden;― sehe in der Heirat heute die einzig mögliche Lösung, die für alle Betheiligten (O., G., mich, die Kinder) relative Ruhe und Ordnung schaffen kann.― Ihr Gefühl der „Zusammengehörigkeit“ ― da ― und dort.―

Von Jacobs Gespräch. Als sie (offenbar) über allerlei negatives meines Wesens sprach ― er: „Warum haben Sie dann für ihn Partei genommen,― als ich mich (vor 2 Jahren) anläßlich seiner Casan. Arbeiten von ihm geistig lossagte?―“!!―

Wir reden ganz leidlich und freundschaftlich miteinander ― bis immer wieder ihre Tendenz durchbricht ― meine „Quälereien“ … als Grundursache aller Verwicklungen hinzustellen …

Dann hat sie plötzlich wieder die (nicht ganz unrichtige) Empfindung, das ganze ein böser Traum;― es wäre alles gar nicht notwendig gewesen. (Nur daß sie immer wieder mir die Schuld geben möchte …)

Regen.― Wir speisen in den Jahreszeiten.―

Nm. lese ich Flaubert Briefe.―

Abends zu O.― G. ist anwesend;― sie hat ihm meine Vorschläge mitgetheilt;― er spricht ausführlich über seine Mutter, fände es verfrüht jetzt mit ihr zu reden.― ― Ich verweise auf die Erleichterung des Zustandes für uns alle, durch äußere Ordnung;― insbesondre auf die besseren und häufigern Möglichkeiten für O., die Kinder zu sehen. O. äußert daraufhin, daß sie sich abgefunden habe;― citirt ein (dummes) Wort Jacobs,― daß lieben „dienen“ sei u. dergl… Das Gespräch wird ganz harmlos, fast heiter, über Reiseerlebnisse;― wir nachtmahlen zusammen, trinken Thee.― Die „Situation“ an sich bedeutet nichts: sie kann zugleich Posse, Tragoedie, Groteske sein;― die Situationen kehren tausendmal wieder;― millionen Male;― und ich wußte für meinen Theil, daß ich etwas erlebte, was noch niemand erlebt hat und niemand je erleben wird.― G. spielte dann aus seiner Musik zum „Spiegelmenschen“ vor; interessant.― Ich wartete Hans J. nicht ab, fuhr (Gußregen) im Auto heim.―