Mittwoch, 4. Mai 1921

4/5 Vorm. zu O. Mauerkircherstraße; sie wohnt bei der Hofschauspielerin Clotilde Sch., ältere Dame. Sitze im Salon mit ihnen, Director Linsemann (Köln), Schwager von Clot. Sch., und seiner Frau (Schauspielerin). Über „Fliederbusch“ und andre Theatralia.― Lucy.―

Mit O. und Lucy in O.s Zimmer. Zuerst über die Sommereintheilung, insbesondre Lili, Zusammensein mit ihr; Aussee; dann soll O. aber wo? mit ihr zusammenwohnen. Schwierigkeiten, die Discussion wird stürmischer, Lucy wirkt beschwichtigend. Ich komme auf die Formalitäten der Trennung, O. weint. „Es bleibt uns nichts andres übrig“ sage ich. Wenn man sich aber irrt? fragt O… Ich: So kann man ja später wieder heiraten (halb scherzend). O. sinkt schluchzend vor mir auf die Kniee. Ihre Thränen schmecken, wie einst die von M. G.

Wir speisen zu dritt im Engl. Hof, ziemlich allein.―

― In mein Hotel. Baron D., der mir schon auf der Straße nachgegangen, schickt mir einen Brief; wir gehn vor dem Hotel auf und ab; er steht in psychonanal. Behandlung, erst bei Freud, jetzt bei Reik, der ihm gerathen, mit mir zu sprechen;― seit 20 Jahren „Doppel-Ich“, befreit sich jetzt durch einen Roman; das eine Ich ist ein Lebemann (im Roman Gesandtschaftsattaché), Elegant,― so hab ich ihn in Erinnerung,― das andre der Daemon;― Kampf zwischen ihnen. Er wirkt komödiantisch, literatenhaft, etwas selbstironisch, nicht ganz unsympathisch.―

Zu Lucy. Erstes Gespräch mit ihr. Sie gibt mir eigentlich in allem recht. Ich solle die Angelegenheit mit Consequenz weiter führen;― O. müsse am eignen Leib alles erfahren ― das der einzige Weg zur Rettung. Sie spricht gleich von O.’s Unbeliebtheit;― trotz der zweifellos fascinirenden Eigenschaften;― bei allem Hochmut doch wieder die kindische Genügsamkeit mit Freundlichkeiten;― die gute Beziehung, die sie mit mir anstrebe eigentlich der Wunsch, ich solle mich nach ihr sehnen; die Beziehung zu G. nicht ein tiefes Gefühl, dessen sie überhaupt nicht fähig … Alma’s Besuch habe nicht günstig gewirkt, sie (Alma) habe ihr Rechte vindicirt u. s. w.;― nun seien aber plötzlich (nach meinem Gespräch mit Alma) zwei Briefe, an Lucy und O. gekommen,― schwärmerisch über mich;― wir (O. und ich) müssten wieder zusammen kommen,― oder gar zusammen bleiben.― Lucy findet ferner, ich solle in finanz. Beziehung weniger large sein;― kaum habe ich ihr (neulich) die monatliche Sust. von 2 auf 3tausend M. erhöht, habe sie auf der Dult allerlei überflüssiges gekauft u. s. w.― Viel über ihr Kindischsein. Sie habe es eben immer zu bequem gehabt.― Die Einladung von Lily Feiks nach Berlin fasse sie auch nicht ganz richtig auf; Lily und G. (der Verleger, jetzt Geliebter von Lily) seien „entsetzt“ über das was geschehn;― möchten durchaus daß die Sache wieder applanirt werde.― Begleite Lucy zum Theater (sie spielt heute).

― Zu O. Auf dem Balkon mit ihr; Blick in Gärtchen. Das einfache kleinbürgerliche Zimmer, mit einzelnen persönlichen Sachen. Unergründliche Melancholie dieser Stunde.― O. verfehlt nicht, in aller Betonung ihrer Freundschaft für Lucy, einiges über deren „Geiz“, „Interessirtheit“ zu sprechen (aus der Empfindung daß Lucy auch über sie manches nicht gute gesagt haben könnte).― Ich nachtmahle mit ihr; das Gespräch geht mühselig; mir sind Thränen in der Kehle; Olga stickt; sie fängt wieder an, als geschäh ihr bittres Unrecht, von den „Gerüchten“ über sie, vor allem von der übeln Nachrede in Wien, zu reden;― hält sich auf, daß ihr niemand schreibe (da sie doch niemandem geschrieben, außer V. L., die ihr auch geantwortet!);― ich spreche von den sehr thatsächlichen Gründen dieser Gerüchte;― vor allem die Mannheimer Reisen;― zum ersten Mal; es entwickelt sich eine wilde Scene, wie nur je,― von ihrer Seite mild, nachgiebig ― „Ich habe dich nie erniedert“ sagt sie … Ich: Ich kann nicht erniedert werden;― was an dir lag, hast du gethan ― Bittre Thränen. Sie geleitet mich zum Hausthor. Trauriger Heimweg. In der Tram Begegnung mit Gusti Gl.!―