Sonntag, 12. Jänner 1908

12/1 S. Zu regelmäßiger Tagebuchführung noch kein Entschluss gefasst.―

Olga noch bettlägerig, in voller Reconvalescenz.―

Vorm. geh ich meist 1-3 Stunden spazieren; gestern dacht ich, nach langer Zeit wieder einmal, über ein Stück nach, das mir tags zuvor eingefallen war, entstanden aus den „Ritterlich“ Stoffen.―

Feile noch weiter am Roman.

Der Beginn ist am 1. Jänner in der Neuen Rundschau erschienen. Ich mache mir den Spass und notire (nächstens) was von Echo’s zu mir dringt (von ungedruckten während des allmäligen Erscheinens).―

Es steht noch nicht fest, welche größere Arbeit ich angreifen oder beenden werde. Outsider nicht unwahrscheinlich. Jedenfalls zieht es mich immer entschiedener dem stilisirten zu. Ja selbst Komoedienpläne moderner Art (Ritterlich) entwickeln sich ins burleske, selbst marionettenartige.―

Ziemlich viel gelesen in diesen Wochen. Den 6. Band der Bülow Briefe.― Die Briefe von MultatuliBrandes aus den Hauptströmungen den Band über Romantik wieder.― Lucinde.― Immermann Münchhausen, 1. Band.― In Brehm (Raubthiere).― Goethe über seine Werke (Faustband).― Novellen von Moerike.― Heywood, der engl. Reisende.― Musil, >Die Verirrungen des Zöglings Törless.― Vehse (Sachsen).― Napoleon Briefe.― Briefe Marie Antoinette mit Joseph und Leopold.― Viel Zeitung, zur Zerstreuung, die mir anfangs sehr nöthig war.―

Auch Goldmanns Briefe les ich, nach langer Zeit, wieder. Welch ein feiner Geist ist hier durch Neid und Eitelkeit zerrieben worden.―

Von meinen Freunden, die sich öfters erkundigen ließen, hör ich wenig. Dass ich Richard am nächsten stehe, hat sich auch in dieser Zeit wieder gezeigt. Wie immer, wenn wir lang nicht verkehren, rück ich von Salten am weitesten ab. Ich spüre, fluidire seinen innern Widerstand gegen mich, der durch die Ereignisse der letzten Zeit notwendig wachsen mußte.― ―

Während Olga sehr krank war, war mir alles äußere der Existenz vollkommen fern; gleichgiltig, lächerlich. Jetzt hat natürlich manches lächerlich Kleinliche wieder Macht über mich. „Wie gut muss es mir gehn“ sagt Olga lächelnd, wenn ich mich über die Polgar’s gifte.―

Heini wohnt noch immer bei seiner Großmama; wir teleph. öfters.―

Auf der Straße neulich zufällig Leo; neulich Richard gesprochen.―

Dr. Sokolowsky, Übersetzer, begleitete mich auf einem Spaziergang nach Pötzleinsdorf; erzählt mir allerlei von russ. Verhältnissen.

Meine Cousine Grethe Mandl hat sich mit Dr. Manassewitsch verlobt.―

Neulich, spazierengehend, sah ich in Hietzing das eben in Bau begriffene Haus von Trebitsch.―

Liesl, Tuberkulincur befindet sich nach eignen, Bekannter, Ärzte Mittheilungen entschieden besser.―

Prozess Harden Moltke hat (der zweite) mit einem Zusammenbruch H.s geendet.―