Sonntag, 9. Mai 1886

9/5 Montag Nm.― Zu Hause unangenehme Auftritte. Mein Vater wirft mir meinen mangelhaften wissenschaftl. Ernst vor. Er hat im Grunde recht, und das ärgste dran ist nur, daß ich mir beim besten Willen keinen Vorwurf machen kann ― durch die Hypochondrien, zu welchen mir insbesondre die letzten Monate reichlichen Anlass boten, ist meine Abneigung gegen die Medizin in so erschreckendem Maße gesteigert worden, daß mir vor meiner Zukunft auf dieser Bahn ernstlich bange ist. Wenn ich bedenke, daß mein Leben sich zwischen Krankenbetten weiterspinnen soll, daß ich meine Zeit der Untersuchung von Sputis und ä. widmen, stets die Stimmung finden soll, innerhalb der widerlichsten (aesthetisch oder gemütlich widerlichsten) Eindrücke mich aufrechtzuerhalten, so muss ich an eine gar gewaltige Aenderung meiner Anschauungen, ja eigentlich meines ganzen Wesens glauben, um ein halbwegs glückliches Dasein für mich möglich zu finden.― Mehr als je ― und beim Himmel, es ist nicht gemeine Faulheit, die mich so empfinden läßt, Jahre lang hab ich auf dies mein Innres bereits prüfen können, mehr als je fühl ich in mir eine Künstlernatur. Mag sein: das ist wohlfeil ― mag sein ― dass eben der Leichtsinn, die Unbeständigkeit, die ― Lebesucht, welche ich nicht mit der Genußsucht im gewöhnlichen Sinn verwechselt haben will, die Gabe alles künstlerische um mich herum tief und mit Genuss aufzunehmen, in höherm Maße bei mir entwickelt sind ― als das Talent ― ich kann, so sehr ich es sollte, die Leute und „Collegen“ an meiner Seite, um ihren Fleiss, andre um ihre speziell mediz. Tüchtigkeit, wieder andre um ihre vollkommen nüchterne Anschauungsweise nicht beneiden ― ja mags klingen wie immer; weitaus den meisten gegenüber habe ich ein so zwingendes Gefühl der Superiorität, daß es mich den Tadel, den ich (also insbesondre von väterlicher Seite) hören muss, weniger empfinden läßt.―

Im übrigen bin ich jetzt auch literarisch viel thätiger. Es war eine Rieseneselei von mir ― Mediziner zu werden, und es ist leider eine Eselei, die nicht mehr gut zu machen ist. Abgesehen von einer gewissen Schärfe des Blicks und geklärtern Anschauungen, in die mich das mediz. Studium eingeführt hat, möcht ich, daß alles mir wieder genommen wird ― oh ich möchte frei, ganz einfach: ich möchte reich und ein Künstler sein. Es ist nicht mehr der Trieb, den jeder Siebzehnjährige in einem gewissen Entwicklungsstadium durchmacht; kein Drang, der theilweise auf unklarer Anschauung, theilweise auf Nachlässigkeit, auf Faulheit, auch auf aufkeimender Sinnlichkeit beruht; ― nein wenn ich heute, beinah an der Schwelle meines fünfundzwanzigsten Jahres das ausspreche, so ist es der Kern meines Wesens, meine heilige Ueberzeugung, die in diesen Worten liegt. Ich lasse alles über mich ergehen, was als gerechter Vorwurf erhoben werden darf ― weil ich mich, nicht zwar in meinen Anlagen, wohl aber in meinen Ideen über das eigentliche Ziel meines Wesens fertig fühle. Hier ist keine wirkliche Aenderung mehr möglich ― denn ich bin einmal kein andrer als ich ― und mir ist als wenn ich all die Sehnsucht, die mich als achtzehnjährigen durchdrang, nun geklärter, sozusagen verständnisvoller nachfühlen würde ― Das weibliche Symbol jener Zeit war eben Fännchen ― heute ists die süße Frau, mit der ich Arm in Arm von Valentin her nach Meran hinunterschritt ―