Montag, 9. März 1885

9/3 Montag Abend.― Charlotte ist in Venedig… Sie war krank, gemütskrank ― und eines schönen Tages theilte man mir mit, sie werde auf den kaufmänn. Ball kommen ― Begreiflich, dass ich an jenem Abend um zehn Uhr in meinen Frack hineinschloff ― und während dieses Manövers erzählte mir mein Bruder, dass neulich auf einem Hausball die schöne Else St. ihm die Ursache von Charlottens Krankheit erzählt hätte. Nun? … Kurz nachdem ich in V. bei H.s gewesen war, richtete Charlottes Mutter an ihre Tochter in einem dämmerigen Zimmer plötzlich die Frage: Du bist verliebt in … (hier folgt mein Name).― Ja, erwiderte Charlotte.― Auf diese allzu offene Antwort erfolgte eine Auseinandersetzung, dass ich in keiner Weise zu ihrem Gemahl geeignet wäre, etc.― und dies ging nun fort … bis sie endlich in jene Melancholie verfiel… in der ich sie nun auch noch auf jenem Balle traf.― Ich war peinlich berührt… Ein stereotypes trauriges Lächeln auf ihren Lippen ― eine langsame müde Art zu sprechen ― und das sonderbarste: sie tanzte wie eine ― ja mir fällt nichts bessres bei: sie tanzte so wie man sich vorstellen könnte, dass eine Nachtwandlerin tanzt.― Ich schlug dies oder jenes Thema an; ― immer müde, traurige Antworten ― nur manchmal ― wenn ich z. B. an der Peripherie des Saales stand, und sie an mir vorüber ― tanzwandelte ― ein Blick voll Innigkeit und Wehmut; kurzum ein Blick, den Heine dichten und Schumann componiren müsste. Ich nicht.

― Vor ein oder zwei Tagen ist sie nach Venedig. Hoffentlich wird sie sich ― gesund heiraten, sobald sie nach Wien rückkehrt. Die Idee, mich ewig zu lieben, wäre denn doch etwas zu lächerlich. Und sie sind nicht so lächerlich, die Weiber ―!

― Und der Fasching heuer? Nichts rasend flottes ― aber doch ein paar Bemerkungen; z. B. dass ich in die Familien Moskowicz (Gusti sehr pikante äußerst jugendliche Schönheit), Landauer eingeführt wurde. Am letzten Ball war Helene H., chic wie immer, von der selben hastigen Intelligenz, ebenso musikalisch, eben so elegant wie ich sie im vorigen Jahre und heuer auf dem Eise des öftern getroffen hatte…

Vorgestern auf einem geschlossenen Kränzchen traf ich mit Therese Tr., die mich sz. ein wenig interessirte ― (übrigens eine außerordentliche Schönheit!) wieder zusammen, und machte die sehr angenehme Bekanntschaft einer überaus anmutigen und reizenden jungen Dame, der Fanny L., einer Schwester der jetzt verheirateten berühmten Operettensängerin.

― Im übrigen erlebt ich rein nichts in dem ganzen Fasching ― doch noch sei die Gestalt der Caecilie R., die hübsche pikante und sehr intelligente Schwester eines Collegen, Rudinger erwähnt, die ich bei Neumann und Moskowicz zu Tische führte…―

1885-03-09