Mittwoch, 5. November 1884

5/11 Mittwoch Abend.

Ende September erlag meine Großmama einem Schlaganfall, der sie acht Tage vorher getroffen hatte. Ich hatte mehrere Nächte an ihrem Bette gewacht; es war eine grenzenlose Verzweiflung ― nun ist bereits ziemlich Trost in die Familie eingekehrt. Dr. Blum bewies sich als das Muster eines opfermutigen braven Arztes.

Fast zur selben Zeit schoss sich Rudolf, Fännchens Bruder, mit einer wohlgezielten Kugel in ein zweifelhaftes Jenseits hinüber ― Die Zeitungen gaben ein amerik. Duell als Ursache an; es sollen aber Gründe finanzieller Natur gewesen sein, die den jungen Mann, mit welchem ich seinerzeit nicht selten verkehrte, zu dem Entschluss veranlassten. Er war ein guter Mensch von musikalischem Verständnisse und sonst mittelmäßiger Begabung.― Ich war sehr ergriffen, als ich Kunde von seinem gewaltsamen Tode erhielt.

― Am 21. Oktober machte ich prakt. Rigorosum aus path. Anatomie bei Kundrat mit genügendem, am Tage darauf bei Nothnagel aus int. Medizin mit ausgezeichnetem Erfolge. Nunmehr studire ich für das theor. secundi wahrscheinlich Ende dieses. Ich strenge mich nicht übermäßig an ― studire ruhig ― und lebe soweit geordnet. ’s macht mir freilich nicht viel Spass, so sehr ich mich auch in die Medizin verhältnismäßig hineingelebt habe. Manchmal freilich lächelts mich an von ― dort drüben, wo ich einmal heimisch war … aber ich verschiebe die Reise, bis ich freier bin ―

Jene unbedeutende Charlotte sah ich Mitte September einige Male, gab sie dann aber plötzlich, ganz grundlos auf.―

Die andre Charlotte hab ich seither nicht gesehn; sie soll gemütskrank sein, nachtwandeln, weinen ― man riet ihr wegzureisen; sie will aber Wien nicht verlassen.

Mit Louis M. verkehr ich am meisten, schon insofern es unser Studiengang mit sich bringt; manche halbe Nächte verbrachten wir zwei mit Markus H., dem gediegenen Mediziner, in „wissenschaftlichem“ Gespräch vor den zwei oben benannten Prüfungen.

Richard T. steckt mit Leib und Seele, besonders mit erstrem in einem Verhältnis zu einer Dame in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre von nicht uninteressantem Äußern, einer Dame, die bereits seit einer Reihe von Jahren mit einem bekannten Staatsmann liirt ist.

Richard H., der Philosoph, ist, behauptet man, in Laura E. verliebt; und es scheint sich nach leichten Beobachtungen, die ich neulich dort machte, als größre Gesellschaft oben bei E.s war, thatsächlich so zu verhalten. Sie gravitirt vielleicht sexuell zurück; aber sie ist ja eben enorm unklar; was weiss sie selber!

Von Adolf und Eugen (ich war so gemein ihm noch nicht zu antworten) hör ich nichts, gar nichts.