Montag, 12. Mai 1884

12/5 Montag. Ich war am Abend vorher bei der Familie gewesen, wo ich die Braut natürlich unendlich aufgeregt, zitternd, fast weinend traf. Ich gab ihr einen soi disant Abschiedskuss ― und nun hab ich sie seit ihrer Hochzeit nicht wieder gesehn ― Wohl aber erhielt ich einen sonderbaren, offenbar auf Mela bezüglichen Brief von ihrer Mutter mit der Bitte ― „wegen des Geredes“ nicht mehr ― sie zu beehren…

Das alles aber ist nun aus ― Und eine andre ist ― wie eine lebendige Novelle in den „Wonnemonat“ hineingetreten ― duftig und schön ― Ja mir wird wahrhaftig ganz poetisch zu Mute mitten unter dem medizinischen Bücherwust, wenn ich an Charlotte ― denke.― Letzthin auf einer Familienpartie mit Sch.s etc., wo sie und ich mit waren, schürzte sich alles weiter … entwickelte sich bis dorthin, wo mein reservirter Egoismus und ihre Schüchternheit Halt gebot ― alles natürlich nur in Worten ― ― ― und Blumen!

Gestern nun war ihr Geburtstag; sie wurde achtzehn Jahre alt. Ihre besten Freundinnen und Bekannten waren geladen; ich mit meinen Geschwistern darunter. Man stand draußen auf dem Balkon am warmen Sommernachmittag ― es war recht nüchtern; ich empfand nichts rechtes. Nach dem Souper, während welchem ich an ihrer Seite sass in allmälig zu alten Gedanken kehrendem Geplauder, wurde ein bischen getanzt. Ich sprach mit ihr so manches, unter andern liess ich wieder eine Bemerkung fallen, die mir so recht aus dem Herzen und aus dem Kopfe kam; daß ich nicht zu heiraten gedächte ― da ich ganz bestimmt zu eifersüchtig wäre, in jedem Falle; und kaum von einer Frau, soweit ich bisher überlegt ― und beobachtet, voraussetzen könnte, sie würde mir länger als zwei Jahre treu sein ― es sei denn nach harten innern Kämpfen, wenn irgend einer, von mehr äußern und innern Vorzügen käme als ich, was doch sicher mehr als wahrscheinlich.― Sie widersprach mir lebhaft. „Das reden Sie sich ein“ sagte sie, „Ihre Frau würde Ihnen sicher treu sein…“ sagte sie ― „Das glauben Sie jetzt, heute“, warf ich hin ― Das Hinundher der Gesellschaft riss uns auf ein paar Minuten auseinander. Dann trat sie wieder zu mir und sagte weich, leise: „ Gerade heute hätten Sie mir das nicht sagen sollen!― ―“ … Mir wurd’ es im Herzen etwas wirr ― „Es ist eine fixe Idee von mir“ sagte ich …― „ich weiss es ja ― vielleicht bin ich ein Narr…“.

… Sie setzte sich in eine Ecke; ich zu ihr. Von einer nachbarlichen Seite wurde zufällig ein Selbstmord erwähnt. Wir nahmen das Thema auf und ich redete der Berechtigung des Selbstmordes das Wort. Sie trat dem heftig entgegen, und wandte sich schließlich mit Worten, die, so weich sie gesprochen waren, mir ins Herz schnitten… daß ich fast schauerte … an mich: „Sehen Sie … nach allem was Sie mir heute Abend gesagt, hab’ ich keine Hoffnung mehr, den zu heiraten, der allein mich glücklich machen könnte … und doch … ich werde mich nicht tödten sondern versuchen an der Seite eines andern, den ich jedenfalls nicht lieben werde ― zu leben.―“

Ich glaube, ich sprach kein Wort mehr an dem Abend und als ich nach Hause ging, war mirs weit schwüler, als selbst die warme Sommernacht es mit sich gebracht hätte ―

― ― ― Ists wirklich eine fixe Idee ― bin ich wirklich ein Narr: Es kommt ein Mädchen ― schön, von jener Seelenanmut, wie ich sie kaum noch je gefunden, dabei, um doch nichts ungesagt zu lassen, reich ― ― die mich in der unzweideutigsten Weise, fast rührend, ihrer Liebe versichert, und ich stehe da ― und sage … „Nein, nein ― du wirst mir doch nicht treu sein, du glaubst es nur ― und es gibt keine Treue, und darum heirat’ ich dich nicht.“ ― Es ist wahrhaftig sehr närrisch … oder sehr … sehr vernünftig. In beiden Fällen bedaure ich mich. Es gibt doch nichts unfertigeres auf der Welt ― als die Theorie der Liebe.

Juni

1884-05-12