Dienstag, 29. November 1881

29/11 Dinstag Abend.―

Wir ― Leo & ich erschienen an der Stelle des Rendezvous. Bald liess sich Gusti sehn. Sie war reizend, wunderhübsch.― Wir fragten sie um ihre Entscheidung. Sie liess eine gute Weile fragen, und gab echt mädchenhafte Antwort; …und als ich sie fragte: Lieben Sie überhaupt einen von uns, erwiderte sie: „Gwiss, i weiß nur no nöt, wen?―“

Eine Minute darauf wußte sies ― „Sagen Sie doch, wer es ist“ rief Leo aus ― „weisen Sie wenigstens mit der Hand auf ihn, ists der, der zu Ihrer rechten oder der, der zu Ihrer linken steht ―“

Sie schwieg ein paar kurze Sekunden ―

― „Na … der …“ und sah uns beide oder eigentlich keinen mit schelmischem Aug an … und ein bischen verschämt ―

― „na meinetwegen … der … rechts…“

… Ich ― stand links.―

Oh, oh, oh! ― ―

Wenn ich so gegen 2 Uhr Nachmittag die Facultät verlasse, so kommt mir jeder gesunde Mensch ganz sonderbar vor ― und ich glaube überhaupt gar nicht recht an irgend welche Gesundheit. Ach ja, es gibt so viele, viele Krankheiten und nur eine Gesundheit. Die Medicin verstimmt mich jetzt ― ganz ausgesprochen ― sie macht mich ab und zu selbst zum Hypochonder … Und meine enorme Oberflächlichkeit ― meine Nachlässigkeit ―

Wenn ich an diesen Fehlern nicht leiden würde, so hätt, ich das Zeug (wie Leute meinen, die mich oft gehörig herunterreißen & mir gewiss nicht schmeicheln wollen) unter allen meinen Collegen der erste zu sein.― Es mag was Wahres drin liegen ― Aber meine Sehnsucht nach der Poesie wächst immer mehr … und immer mehr sollte ich mich in ein ernstes, ja angestrengtes Studium versenken.― Und abgesehen von diesem Kampf ― die gewisse allgemeine Verstimmung (heute außerdem noch eine erhebliche Senkung meines Selbstvertrauns) und immer diese Langeweile! Ich langeweile mich entsetzlich; es grenzt schon ans Unerträgliche.

― Ich merke, ich brauch, eine energische Cur ― denn mein Seelenzustand schwankt schon bedenklich aus dem Niveau einer gewöhnlichen, rasch vergänglichen Gelangweiltheit gegen krankhafteres zu heraus.―

Und vor der Hand wird doch nichts andres geschehn, als daß ich mich ordentlich über meine Rigorosengegenstände hersetze & studire ―

― Ist es lächerlich, sich nach Liebe zu sehnen? Oder lasterhaft, nach einem toll genußsüchtigen Leben?: Eins von beiden brauch, ich, sonst schlafen alle meine Kräfte ein, und wer einmal dazu berufen ist, sie wieder aufzuwecken (denn ein solches Wesen wird ja doch endlich über meinen Weg schreiten, hoff, ich) wird seine liebe Müh haben.

… So wahr ich lebe: mich ekelt es an, dieses Leben ― ein tiefes Gefühl des überdrusses vor diesem Leben beseelt mich;― wenn man hier so sagen dürfte ― ein heiliges Gefühl des Ekels!

1881-11-29