Sonntag, 27. November 1881

27/11 ― oder 28. ― 1 Uhr Nachts.―

Ich habe Gusti nicht sonderlich richtig charakterisirt. Sie ist sehr wenig Theaterblut ― sie ist der Typus eines vorstädtischen Wiener Mädchens ― ein reizendes Wesen, ein Schatz. Ich weiß noch nicht, ob meiner. Es kam nemlich ganz sonderbar ― und nach langer Zeit ist es wieder der Mühe werth, über etwas zu berichten; … denn ganz klar & aufrichtig: Ich bin wieder verliebt.

Leo E. und ich kamen um fünf auf den Ort des Rendezvous; und lang liefen wir, ich mit Gusti, er mit Minna, in Gärten & Straßen & umher. Gusti’s erster & letzter Liebhaber, der sie wahnsinnig gern gehabt hat, heißt Julius Chr. Er kam ins Haus, und es gab allerlei unangenehme Geschichten; Nachbarn schwätzten, die Eltern redeten bald dies, bald jenes ― und eines schönen Tags nahm Gusti ― Morphium. Sie war ein paar Tage krank … und wurde eben wieder gesund. Cyankali hatte sie auch zu Hause ― und hat es noch immer. Nun ― so lebensüberdrüssig, daß sie Cyankali nahm, scheint sie nicht gewesen zu sein; Morphium genügte.― Vor kurzem kam es zwischen ihr & Julius, weil er zu viel mit leichten Mädchen sich herumtrieb zum Bruch ― sie liebt ihn nicht mehr. Liebt ihn gar nicht mehr ― ? Er hat es schon erfahren, daß ein andrer (ich) sie Freitag begleitete und äußerte sich irgend einer zwischen beiden stehenden Person gegenüber, „Gusti hätte ja schon wieder Amüsement ― und er sei mit seiner ersten Liebe … Therese … wieder recht zufrieden“.― Julius besass Gusti nicht; sie ist rein.― Über Minna’s Unschuld wagt sie selbst nicht deutlich zu sprechen … mir mißfällt dieses Mädchen sehr ― sie hat etwas ordinäres und passt zu Gusti gar nicht.― In Mariahilf oder Neubau gingen wir in ein Gasthaus. Leo spielte auf eine mich anwidernde Art den Possenreißer ― ich konnte nicht im entferntesten auch nur lächeln, die Mädchen amüsirten sich.― Sonst ist Leo ein lieber, wirklich ein sehr lieber und mir in kurzer Zeit wirklich werth gewordner junger Mensch.― Ich merkte, daß Gusti zwischen mir & Leo zu schwanken beginne. Als wir das Gasthaus verließen, gestalteten sich die Paare abwechselnd … Gusti, ich, ― Leo, Minna, ― Gusti, Leo, ― Minna, ich.― Minna ging mehr & mehr ein ― Gusti erhielt von Leo und mir … je ein Liebesgeständnis. Oder hab ich ihr zehn gemacht? Dinstag Abend sehen wir sie wieder ― bis dahin wird sie sich für einen von uns beiden entschieden haben… wird einem von uns beiden sagen, daß sie ihn liebe.― Ist die Sache komisch? Oder liegt etwas darin? Für uns, die wir da mit spielen, gewiss ― sehr viel sogar.― Dieses „Mädel aus der Vorstadt“ hat einen merkwürdigen, unerklärlichen Eindruck auf mich gemacht ― und von Marie fand ich gestern 4 Rendezvous Briefe auf der Post ― zu spät abgeholt, manches versäumt ― und Marie ist ― wahrhaftig sie ist hübscher … aber bei allen Teufeln! ich bin in Gusti verliebt … und habe heut im Dominospiel … Glück gehabt ―

Die Medicin wünsch’ ich jetzt in die Hölle. Ich hätte Lust, wieder unermeßlich faul zu werden.―

Natürlich ist es, daß sich in meinem Hirn ganz unbewußt ein Volksstück aufzubauen begonnen hat … in dessen Mitte ein Mädchen wie Gusti steht ― die vorstädtischen Tanzschulen, die merkwürdige schlecht und recht zusammengekittete Häuslichkeit, die Vertrauensseligkeit der Eltern, der Ledergalanteriewarenhändler, der „ins Haus kommt“, die verführte Freundin ― alles kenn ich schon so gut, ich bin an allen Orten so heimisch, mit allen Personen so wohl bekannt…

Gestern versöhnte ich mich mit Pepi. Kneipten über ein Dutzend zusammen. ’s war ganz fidel. Fanny sprach ich im Concert PapierFanny … man könnte drüber träumen … Fanny…?

Es ist doch drollig.―