Mittwoch, 30. November 1881

30/11 Mittwoch Abend.―

Nach Leopardi ist la noia „das edelste aller menschlichen Gefühle“; nach Buffon l’ennui der Tyrann aller denkenden Seelen … Das edelste menschliche Gefühl ― … ach ja! es ist sehr bequem, edel zu sein, wenn dazu nichts noth thut ― als sich zu langweilen.― Und doch, es steckt was in dem Leopardi’schen Satz ― denn wahr empfunden: heißt edel empfunden, und wenn man nur weiss, daß man von noia gepeinigt wird und es redlich eingesteht, so ist das immerhin besser, als sich einzureden, daß man sich eigentlich doch amüsire … da man ja im äußersten Fall noch immer ― sich selber habe. Ja wenn man dessen nur immer gewiss wäre. Aber ich suche mich auch nicht mehr so recht ― denn was ich so von ferne sehe, macht mich an diesem Menschen immer mehr zweifeln ― Zu gar nichts sich ganz zu haben! ― seit Monaten ― vielleicht seit Jahren auf eine zum Überdruss mit Worten ausgemalte Weise sich hinundherschleppen von Wunsch zu Wunsch … aufundabspazieren zwischen lauter Anfängen … und trotz der Flügel doch nur immer aus erbärmlicher Faulheit über den Staub der Erde hinzuflattern. Es sei denn, daß ich ― ein echtes Kind des Jahrhunderts ― schon mit gestutzten Flügeln zur Welt gekommen bin.―

O es ekelt mich, ekelt mich unbeschreiblich, und immer von neuem; und immer ärger, weil ich immer seltner aufgefrischt werde durch … ja durch was es immer sei ― Ich brauchte Freiheit, … und, wie natürlich, Geld, um mich zu amüsiren … und ganz besonders ― ein andres Ich. Aber es waren ja doch schon Momente wo mir eine Ahnung kam, dass man sich nicht immer langweilen muss. Momente die ich an Fannys Lippen genoss ― Momente an der Seite mancher andern, wenn auch nicht so theuern Mädchen ― Momente in der Gesellschaft von ein paar lustigen Kameraden oder bei der Flasche Wein, ― Momente, da ich den Worten der Poeten im Theater, den Klängen der Musik in Concerten lauschte, ― Momente, deren Reiz sich im Entwerfen, Durchdenken, Ausführen einer Dichtung mir offenbarte …aber warum erleb’ ich all das so selten ― und jetzt gar nicht ―! Und warum stört mich das Geringste ― ? warum bedarf es nur eines leisen widerlichen Hauches, eines schrillen Tones, um mich aus einem Traume der Lust aufzuwecken, wo mich tausende Düfte berauschen müssten, tausende Klänge umwallen, um mich allmälig darein zu lullen?― Warum seh ich den Schmerz lebhafter in allem rings um mich weben, als die Freude ― Mich bedünkt: weil jener in der That viel regsamer durch die Gefilde der Menschheit hastet, als diese, ja man könnte sagen, das Genie des Schmerzes sei ein gewaltigres als das der Freude.―

Und es gibt Eltern, dies bedauern, kinderlos zu sein! Beneidet das Ungeborene! ―

Aber nun ist man schon einmal da und wollte sich doch … Nun ja amüsiren ― Ich bin nun einmal so’n elender Genussmensch. Bin es, kann aber nichts dafür. Kam so auf die Welt ― wohlfeile Ausrede allerdings, aber vollkommen unbestreitbar. Denn eigentlich ist am Leichtsinn ebenso wenig was leichtsinniges, als am Edelmut was edles ist.