Dienstag, 18. Mai 1880

18/5 Dinstag spät Abend. Lang gehts nicht mehr so fort. Nach dem Theater sprach ich die geliebte; sie war mit ihrem verlebten und doch verliebten verlobten dort, der sich zu einer gewissen Freundlichkeit gegen mich zwang, obwohl ihm letzthin erst Fanny bis ins Detail gestand, wie wir uns im Quaipark sprachen und herzten…

Es geht so nicht mehr fort. Mir ist zu Mut ― elend, elend, wie ichs nicht schildern kann. Meine Zeit geht hin, sinnlos, zu nichts verwendet ― die Tage schreiten in Schneckenschritt ― ich habe jetzt nichts, was mich freuen könnte. Ich bin ein larmoyanter Kerl mit 18 Jahren. ’s ist lächerlich. Aber warum sollte man nicht eben in dieser Jugend der leidenschaftlichsten Gefühle fähig sein? Ich stehe nur unter dem Banne der einen Leidenschaft ― bin ich denn eine Commisseele, daß ich mich eines tiefen Gefühles schämen sollte: Vielleicht wär’s nicht so tief, würd’ es nicht erwidert ― Aber so ― hoffen, immer hoffen dürfen ― und ―

Ich war Vormittag im Kaffeehaus, Nachm. im Kaffeehaus; ich lernte gesprächsweise (durch eine Zeichnung Eugens) einen gewissen D. Tambour kennen, über den ich mir näheres notiren will, bis ich gesund bin. Ein sehr interessanter Kerl, vierzig Jahre alt, Atheist, Materialist, Idealist, Kosmopolit, Autodidakt, Nihilist. Mittelgroße, kräftige Figur, kurzes dichtes borstiges Haupthaar, schwarz, graumelirt, ebensolcher Vollbart, der ein volles geröthetes Gesicht einrahmt, aus dem zwei dunkle Augen hervorblitzen. Das weiße im Aug von sichtbaren Blutgefäßen durchzogen, der Typus des Gesichts verratend, daß der Mann ein Jude ist, ein Pole. Seine Kleidung unmerklich abgenützt; er selbst lebendig und ein wenig düster leidenschaftlich.―

Nun will ich ein paar zufriedene Stunden verleben, nämlich schlafen.―

„Es gibt nicht nur eine Genialität des Geistes, sondern auch eine Genialität des Herzens.“