Sonntag, 7. Jänner 1923

7/1 S. Träumte heute etwas verworren von Frankgasse 1,― im Hinaufgehn war es aber eigentlich Burgring. Dann wieder Hotelgänge. In einem Badezimmer Dr. Menczel im Bad ― ich sperrte ab, aber der Riegel taugte nichts,― zuerst ging eine Dame durch, dann ein Kindermädchen mit einem Kind und einem Topferl.― An der Ecke Garnison- Alserstraße, wohin ich von Frankgasse aus kam (per Tram?) und ausstieg, geschah irgend was, weiß nicht mehr was, aber es hatte irgend eine günstige Bedeutung, ich war eilig und agil. (Beide Novellen spielen in diesen Traum hinein.) ― ―

Ganz unverändert meine Stimmung gegenüber O., insbesondre in den Morgenstunden; von Bitterkeit zu Erbitterung; und zugleich das Gefühl einer guten Nervenentspannung, daß sie nicht da,― und einer Traurigkeit, daß sie ― oder vielmehr die sie hätte sein sollen,― fort;― daß es, wie immer klarer wird, unwiderruflich aus ist.―

― Kleiner lustloser Spaziergang.―

Nm., außer der Bilanzirung ― an Fr. d. R.―

Ins Kino („Miß Venus“) angewidert von „Kunst“ und Publikum.―

Las Paul Schlesingers Roman Stephan und Else Hirrlinger zu Ende. Ich glaube, seit den Buddenbrooks hat mich ein Roman nicht so sehr gefesselt, und menschlich ergriffen. Voll Verstand, ohne Praetension,― voll Empfindung, ohne Spur von Sentimentalität, in klarstem durchsichtigstem erhöhtem und völlig unaffectirtem Stil erzählt;― kein Schwindel, keine Mystik, keine Psychoanalyse ― ― also ohne Snobismus irgendwelcher Art;― ein bürgerlicher Roman höchsten Ranges, ohne Adels- und ohne Proletariats-Velleitäten ―, und so deutsch im besten Sinn, ohne nationalistisch zu sein,― wie ihn heute wahrscheinlich nur ein (Halb-?) Jude schreiben kann. Übrigens ist er 1914 beendet.