Donnerstag, 19. Oktober 1922

19/10 In erneutem Groll gegen O. erwacht;― doch immer wieder ganz eigentlich erschüttert von diesem Hochmut!― „Nie etwas falsches“ gethan ― und die Wahrheit ist, dass sie in jedem Moment ― wie oft hatte sie die Entscheidung in der Hand,― immer das unrichtige, ja das unwürdige gethan.― Im Jahr 19 hatte sie die Wahl: die Wahrheit zu sprechen ― oder zu lügen … Sie log. Als sie sich entschloss zu lügen (freilich in der Empfindung daß ich ihr nicht glaube) ― die Wahl zwischen gutem oder schlechtem Benehmen nach außen hin, und mir gegenüber … Sie wählte das schlechte. Als die Lüge nicht aufrecht zu halten war und ich ihr die Entscheidung ― ich ihr! … die Entscheidung in die Hand legte;― hätte sie im Hause bleiben ― oder gehn können. Sie ging, aber ohne wirkliche Aufrichtigkeit, und ohne Würde. Als sie gegangen, hätte sie sagen können, wohin sie geht, nicht das eigentliche Ziel ihrer Reise verschweigen,― und Briefe schreiben, in denen sie die Scheidung verlangt ― (aber nicht etwa als eine Frau, die eben zu ihrem Liebhaber gereist war, sondern als eine, der man bitter Unrecht gethan, die man verdächtigt und tyrannisirt, und die deshalb „nie wieder zurück könne“) … Als ich, auf ihren Wunsch hin, die Scheidung einleitete, hätte sie das mit Würde hinnehmen müssen, nicht auf der einen Seite mich bürgerlich philiströsen Gehabens anschuldigen, daß ich ― „aus diesem Grund“ auf einer Scheidung bestehe,― anderseits verbreiten, ich wolle sie zurück haben, sie wolle aber nicht kommen;― als die Sache entschieden war ―; nicht überall sie so darstellen ― als hätte ich ihr „die Kinder geraubt“, und ich benähme mich wie jeder beliebige rachsüchtige Ehemann in meinem Fall,― ― auch hätte sie irgend welche ernstlichen Versuche machen können, sich halbwegs auf eigne Füße zu stellen, thätig zu sein;― und nun, nachdem wir nun einmal so weit sind als wir sind ― sie behaglich und sorgenlos lebt, und nur die Möglichkeit die Kinder zu sehen, durch die Verhältnisse eingeschränkt ist,― könnte sie ― nicht etwa „büßen“ oder „bereuen“ … aber doch ihren „Antheil“ an der Schuld fühlen,― mit dem Verstand, wenn nicht schon mit dem Herzen ― statt sich als irgend eine Auserwählte zu fühlen, die ihren besondern „Stern“ hat;― in deren Leben alles mit Notwendigkeit geschehn sei,― die daher nie etwas falsches begangen.― Nie noch hab ich so stark empfunden daß es ein inneres Zusammenkommen für uns nicht mehr gibt …

Dict. Verf.― Briefe etc.―

Nm. vertrödelt mit Rechnen und Ordnen.―