Mittwoch, 16. Februar 1921

16/2 Vm. bei Gustav. Über die Reigenaffaire.― Nach O. fragte er mit keinem Worte. Ich konnte nicht sprechen da Max dabei.

Bei Gisa. Vallo geht, mit dem Kind auf 2 Jahre nach Südamerika.― Gisa sieht noch schärfre Zerwürfnisse mit Hajek voraus (auch für sich).― Ich zeigte ihr die Briefe von O. Sie findet daß die Entscheidung nicht länger hinauszuschieben;― Julius ebenso;― und sagt, sie könne wohl nur auf eine Art fallen. Furchtbar die Unbeliebtheit O.s. In Wien hat sie den Boden gänzlich verloren;― mit ein Grund, daß es sie fortzieht.― Mir ist zum Sterben weh.― Es ist wie wenn man einen Menschen, der längst todtkrank ist, endlich wirklich verliert. … Das Ende … Wort des Grauns,― wenn kein neuer Anfang mehr kommen kann.―

Zu Tisch Ruth Lindberg.―

Paul Friedmann; theilt mir mit, daß Bernau einen anonymen Drohbrief bekommen; er würde erschossen werden, wie all die andern Buben (die an der Reigensache betheiligt!). Grotesk.

― Schrieb allerlei nieder für einen Brief an Lucy.―

H. K.; von ihrer neuesten Liebesgeschichte.―

Sie begleitet mich bis zum Fleischmarkt; ich gehe an den 2 Sicherheitsleuten vorbei, auf die Bühne, etwas verwundert, daß sie sich gar nicht kümmern … Auf der Bühne; Frl. Hochwald: „Gerade heute kommen Sie?“ (Ich hatte Rendezvous mit Fischer und Schulbaur in einer Cassian-Besprechung.) ― Eben Stinkbombe geworfen! Haus wird gelüftet … ― In die Garderobe, ― Frau Carlsen bietet mir ein Glas Schnaps an, zeigt mir Geburtstagsgeschenke,― die auf ihrem Toilettetisch geordnet sind.― Sie geht auf die Bühne, ihre Scene mit Iwald spielen ― ich plaudre mit Frl. Keller und Markus,― Lärm,― Garderobière stürzt herein, weinend ― ― Carlsen von der Bühne fluchtartig, Geschrei, Toben, Brüllen;― Leute aus dem Zuschauerraum, ein paar hundert sind eingedrungen,― attakiren die Besucher; Publikum flieht, wird insultirt;― ― ich auf die Bühne, ungeheure Erregung, eiserner Vorhang vor, Spritzen in Thätigkeit, Publikum flieht auf die Bühne, Requisitenkammer;― das Gesindel tobt, schmeißt Sachen an den Vorhang, will die Thüren einbrechen;― Wasser fließt in die Garderoben,― Frl. Olly erklärt, man wolle uns ertränken;― die Weiber, Carlsen, Markus, Olly, Keller, nehmen mich in ihr Kammerl, fürchten für sich, noch mehr für mich; ich entferne mich wieder, auf die Bühne, wenig erregt,― sonderbare Empfindung von Traumhaftigkeit;― Arbeiter mit verbundnem Aug;― der Inspizient, der die Leute an der kleinen Thür aufhielt, hat einen Faustschlag auf den Kopf;― Succurs von Wache und Volkswehr kommt, allmälig Räumung;― Heini kommt gestürzt,― fand ums Haus Menschenmenge und Feuerwehr, war zu Tod erschrocken;― wir gehen in den Zuschauerraum;― Bänke und Sessel aus den Logen heruntergeworfen;― Theerflecken u. s. w.― Ein jüd. Journalist fragt nach meinen Eindrücken; dann redet ein freisinniges Mitglied des „Kulturbundes“ komische Albernheiten;― ein Polizeioffizier erklärt Schulbaur und mir, die 10 Uhr Vorstellung könne stattfinden;― er übernehme jede Garantie;― er sei zwar (persönlich) nicht für die Aufführung des Reigen gewesen;― aber wenn man heute diese Elemente gesehen habe ― ! 20 Arretirungen seien erfolgt, darunter zwei stud. phil.; … allerlei Einzelheiten von Prügeleien und Diebstählen.― Bernau kommt aus einer Sitzung;― ein Arbeiter berichtet, das Gesindel sei von einer Versammlung aus dem Heiligenkreuzerhof hergezogen (monarchistischer Natur ―);― ich schenke einer verletzten Garderobefrau 200 Kronen;― um ½10 kommt wer von der Polizei, verbietet die 10 Uhr Vorstellung.― Journalisten, die sich erkundigen, Schauspieler, Gruppen.― Der nervöse Schulbaur, der seine Wuth und seinen Muth an einem Cigarettenraucher ausläßt. Die abmarschirende Volkwehr.―

― Mit Heini nach Haus. In der Tram Paulsen und Hans Thimig.― ― Der ganze Abend ein Unicum in der Theatergeschichte.―