Samstag, 1. Jänner 1921

1/1 Erwache, nach tiefem Schlaf, zwischen 7 und 8 in Schweiß gebadet, mit Kopfschmerzen.― Besinne mich auf einen sonderbaren Traum; der trotz der Peinlichkeit ziemlich unbetont … Später zu O. ins Zimmer. Lili, die erst um ½3 heim kam, bei O. im Bett … Neujahrsbegrüßung. Sie wünscht ein Taschentuch. Ich hole es aus dem Schrank.― Plötzlicher Eindruck, der meinen Traum zu bestätigen scheint;― ich verlasse das Zimmer.―

Warm, sonnig,― über Grinzing auf den Kahlenberg, ― stets unter der Nachwirkung jenes seltsamen Zusammentreffens;― nur zuweilen fähig, meine Gedanken anders wohin zu concentriren;― immer wieder mit den letzten Weiherversen beginnend „Und schiene mir ein Narr … ein Wicht …“ endlich auf der Höhe find ich einen leidlichen Übergang.―

Auf dem kleinen Friedhof (wie mir scheint, zum ersten Mal in meinem Leben) mit den Gräbern von Ligne u. a.―

Meine erste Begegnung gleich vor dem Haus war die schöne Frau Tressler gewesen ―

Im Bergabsteigen Dr. Postelberg, der mir über mein „jugendlich frisches“ Aussehn Complimente macht.

Tram;― Prof. Redlich, der vor 1 Jahr etwa wieder geheiratet hat (ein um 25 Jahre jüngres Wesen) und glücklich scheint. Über sein neues histor.-politisches Buch, dessen Erfolg; sein englisch- und französischschreiben.―

Frau Schmutzer und die Kinder getroffen; den Vater auch, der mir ein neues magnet. Spielzeug (auf der Gartenmauer) zeigt.

Nach Tisch sagt mir O., sie habe von der Hofr., wo sie heute Vm. gewesen, eine sehr tüchtige Wirtschafterin empfohlen bekommen … Es entwickelt sich eiligst ein heftiges Gespräch; … ich theile ihr meine Vermutung von heute früh mit; sie weist sie zurück und beweist mir meinen Irrtum sozusagen durch Augenschein ― was immerhin auch ein nachträgliches Arrangement sein kann. Im übrigen nebensächlich. Während das Gespräch bedrohliche Formen annimmt; werden Gustaf Linden und Frau gemeldet. (Stockholm.) Wir gehen hinab; später kommt auch Fräulein Dr. Lieser (die Tochter; Nationaloekonomie). Linden und Frau sehr nett; u. a. über Strindberg,― von seinen Hassanfällen, wechselnd mit Güte ― ich spüre wie O. an mich denkt;― über Aufführung „Ruf“ (demnächst), Erfolg Bassermanns in „Große Scene“.

― Die Spannung auch zwischen O. und mir scheint sich zu lösen.―

Z. N. kommen Prof. Dr. Kaufmann und Frau. (U. a. über Freuds Person, und Psychoanalyse.) ―

N. d. N. beginnt die Disc. mit O. in üblicher Weise;― sie wollte Nm. sofort für Salzburg packen; nur Lindens Erscheinen habe sie abgehalten … Jedenfalls fort ― fort ― sie war Vorm. mit G. bei der Hofr. gewesen; die gleichfalls gesagt;― wir müssten auseinander;― zuviel Hässliches … etc. Ich: Ja … nur verwehre ich mich, dass dieses Hässliche „von mir“ aus ― oder gar von mir allein gekommen;― auch werde ich mich gegen die Entstellung meines Bildes, die Tendenz mich zum Schuldigen zu machen;― in jeder Weise wehren … Es kam dann, schon nach etwas ruhigerm Gespräch, ein Augenblick, in dem ich, Abschied nehmend ihre Hand ergreife und sage: … Das Unglück ist vielleicht nur, daß man sich schwer entschließt, nach dieser Hand eine andre zu küssen … Daraufhin ein Thränenausbruch von ihr;― ich merke, daß sie diese Worte ganz kürzlich erst gehört haben muß; sie gesteht es zu;― und die Unterredung führt von nun an, in Höhen, die wir beide, seit Jahren, und gewiß in dieser unglückseligen Zeit nie erreicht haben. Sie scheint ― ist von völliger Aufrichtigkeit, ich absolut verstehend, sie beinahe einsichtsvoll;― wir beide jedenfalls eine Weile hindurch nicht hassende, ungerechte, böse;― sondern begreifende, leidende, liebende Menschen. Es war in allem Schmerz ein Aufathmen, irgend etwas von Glück … Und wir empfanden jeder nicht nur die eigne Tragik,― sondern auch die des andern. Fast hoffte ich wieder ― auf die Möglichkeit einer reinlichen Entscheidung in kürzester Frist.― Aber wie sie auch fällt;― für mich kann sie nie und nimmer günstig sein.― Sie weinte an meiner Brust stundenlang;― ich fühlte, wie sehr ich sie geliebt habe.― Wie fern bin ich davon, sagt ich ihr, dir ein Gefühl übel zu nehmen: was ich mir verbiete, ist aber, daß du wunderbare Stunden, die wir auch vor wenigen Jahren noch erlebt, als nicht gewesen betrachtest, mich immer wieder vor andern und dir als den Monomanen des Mißtrauens hinstellst ― während mein Fehler nur der war ― jede deiner Seelenregungen zu spüren;― ― dich behalten zu wollen,― und alles vorherzusehen.― ―

Bevor Kfm.s Abend erschienen, kam Frau V. L. Franzl abholen; ich begleitete sie zur Tram;― sie sagte (die Stimmung des Hauses nachfühlend) Ich möchte nur wissen ― wie ich Sie fröhlicher machen könnte.