Sonntag, 6. Juni 1920

6/6 S. Heut ist der Tag, an dem ich genau so alt bin als mein Vater war, da er starb.

Morgens im Bett bittre Thränen …

Dann wie nun manchmal mit dem „Ruf des Lebens“ beschäftigt, nicht so sehr des Films als eines wirklichen neuen Abschlusses wegen.―

Nach Pötzleinsdorf; sprach Dr. Albert Weingarten und seine Begleitung, Frau, u. a., Dr. Kauders, Spörr, während ich, in unsicherem Wetter wartete. Frau V. L. kam verspätet, durch Procession aufgehalten. Julienstraße Michaelerbergweg; Sonne, Regen, Hagel; eine Weile auf einer Bank. Wie nicht anders möglich kam das Gespräch auf O.;― allerlei sprudelte aus mir hervor, aber ich sagte beinah nur gutes über sie.― Heim mit ihr; Dr. L. und Franzl;― das Paar ging; Franzl blieb zu Tisch. Die Hofrätin auch zu Tisch.―

Zum Thee Friedell mit Frau Loos, ein Frl. Sommer (Sängerin), Fritz Z. und Trude;― Prof. Moll mit Annie Mahler. Später auch Lichtensterns.― Friedell liest den N. Fr. Pr. Leitartikel über die Beraubung der Weimarer Schiller und Goethe Gräber in seiner bekannten komischen Manier vor.― Ein Gespräch über Güte und Bösheit … (Auch das absolut „böse“ selten;― und nur aus dem pathologischen zu erklären.) Über Popper als den einzigen „Gütigen“ dem ich begegnet … P. Goldmann hat sich bei Friedell beklagt, dass ich ihn in meinen Stücken persiflire (Flöding …) ―

Mit Lichtenst. über Sommerpläne; sie möchten gern den August mit uns verbringen.― Schwierigkeiten … Mit L. allein sprach ich über finanz. Dinge; den legalisirten Raub, den ich im Ausland erfahre, die Schandhonorare u. dgl.― Indes ist O. mit V. L. allein.―

Heini bei „Weh dem der lügt“;― nach d. N. mit O. über finanzielles. L.s. haben eine größere Summe bei Frau L.s Bruder ins Geschäft gegeben, wo sie sich angeblich ohne Risiko, durch Valutaspeculation mit 30% verzinsen solle;― O. findet, ich solle etwas ähnliches thun; meine Papiere belehnen, etc., ich setze ihr meine Vermögensverhältnisse auseinander;― erkläre ihr auch daß dergleichen finanz. Actionen nicht meine Sache ― und dass ein Geschäft bei dem man 30% verdienen könne, niemals sicher sein kann. Sie sieht ein.

Später ruft sie mich an ihr Bett. Fragt was ich mit Frau V. gesprochen,― ob auch von ihr;― ich: es ergab sich von selbst ― da du ja nach deiner Art zu ihr über unsre Beziehung Andeutungen gemacht … Sie leugnet es nicht, bemerkt auch gleich, dass Frau V. ihr erzählt, in welcher Weise, voll Liebe etc. ich von ihr gesprochen … aber … sie dränge sich irgendwie in ihr Vertrauen, sei zwar gut und lieb, aber doch sehr Weiberl, kokett u. s. f.― Und auch die Hofrätin habe sich heute wieder erkundigt, wie es mir gehe, wie wir stünden … und ― sie beginnt zu weinen ― sie erträgt diese Verantwortung nicht ― sie möchte ans Ende der Welt fliehn ― klagt über ihre seelischen, ihre körperlichen Zustände;― wir reden sehr ruhig, ich besonders, eine Stunde lang;― ich erkläre, daß auf einer so falschen Basis eine Ehe zusammenbrechen müsse ― sie fragt: „Was soll ich thun ―?“ Ich: „Das werd ich dir beantworten wenn du mir sagst, was ich thun soll ― ?“ ― Über den Sommer hat sie jeden Augenblick andre Pläne;― bald will sie nur allein sein, dann eine Weile mit (mir und) den Kindern;― bald Franzensbad, bald Hofgastein;― ist dabei doch nur von halber Aufrichtigkeit,― fühlt dass sie in eine Sackgasse gerathen und ist zu trotzig um es (sich selbst) einzugestehn.