Samstag, 15. Mai 1920

15/5 58. Geburtstag ―

In der Nacht von der Roland sonderbar geträumt.

Briefe, u. a. aus London, Zahlungen für Anatol (Dilettanten Vorst.) ankündigend; von Hugo Salus

Trocken-melanch. Stimmung; dürftige Thränen.

Geschenke; von O. Blumen, Chocolade, Cigaretten, von den Kindern Blumen, Heini nebstbei Okakura, Buch vom Thee, von Lili ein Körbchen selbst geflochten.

Behandlung. Mit Frl. Lindberg während der Massage allerlei geplaudert, über Hypnotismus u. dergl.―

Kolap bringt ein Notizbuch. Dict. Briefe, ein paar Zeilen Weiher bis zum Auftreten Konrads im 2. Akt ―; Tgb. ― und aphoristisches.

Gisa kommt gratuliren.

Kolap mittagmahlt bei uns.

Nachher singt O., von Heini begleitet, Aida, Carmen,― seit etwa 4 Wochen studiert sie bei Gau, der ihr zweifellos nützt.―

Nm. allein auf meinem Balkon, lese Goethe in Briefen seiner Zeitgenossen;― O. kommt herein, frägt sich ― und mich woran es liege, daß sie doch keinen Erfolg habe; ich erkläre es müßt doch eben jenes geheimnisvolle fehlen, das auf das Publikum wirke;― sie dann: „Es ist eben doch niemand ganz ehrlich mit mir“ ― und entfernt sich mit Thränen. ― Ja wenn sie Ehrlichkeit je wirklich vertragen hätte!―

Annie meine Nichte kommt gratuliren; geht von hier zu dem seit Jahren gelähmten Sohn meines alten Collegen Petschek, wir reden über seinen Fall.―

Wir („Familie“) trinken Cacao, dann mit O. und Lili zur Trafik; wir begegnen Kolap, die von B.-H.s kommt, nehmen sie mit; Julius und Helene kommen, bringen Chocolade und Datteln. Überdies eine Zeitungsnummer April 1914 ― die sich mit den Preisangaben u. ä. wie ein Märchen liest … Wir reden über vergangnes, künftiges; Reisemöglich- und -unmöglichkeiten; spazieren im Garten; es ist schön geworden.

Julius geht; wir andern mit Helene spazieren, bis hintern Friedhof;― begleiten sie und Kolap zur Tram,― dann [mit] Heini ich zum Friedhof;― dort stehn im Thor O., Lili;― wie Ama, die schon durch den Bretterzaun am Grab Stephis zu sehn war. Mit Ama Mimi und Vicki. Ama hatte mir mit Maiglöckchen das Papiermesser Stephis geschickt. Heute vor 3 Jahren ihr Selbstmord. Seither sinkt alles ab … Welch ein Verhängnis, dass O. alle ihre Freundinnen verlieren mußte! Freilich Stephi schon vor ihrem Tod. Vicki geht dieser Tage auf eine kleine Tour, die ich nun meines Armes wegen nicht mit ihm machen kann ―

― N. d. N. lese ich die „Daemonen“ von Dostojewski weiter, im Bett Dichtung und Wahrheit.―

1920-05-15