Samstag, 9. September 1911

9/9 Mama früh sehr sehr schwach.― Sie fragt mich nach den Kindern. „Gehst du jetzt zu den Kindern.“ Später, als ich sage, sie sind auf dem Semmering, droht sie scherzhaft. „Ich weiß schon.“―

Gegen 9 setzt die absolute Bewußtlosigkeit ein. Sie dauert bis ½4 Nachmittag; ohne sichtlichen Kampf entschlummert Mama. Das Zimmer 101, Pelikangasse 5, 2. Stock ― sehr heiß, die Sonne fällt herein. Wir Kinder alle, Tante Irene mit Olga, Tante Pauline, Tante Johanna, Tante Rebecca, Gisela Frid waren im Sterbezimmer. Ich fühlte, wie unsagbar ich sie geliebt hatte; trotz der kleinen Entfremdungen, die das Leben immer wieder bringt. Zwischen 9 und 10 schien mir, lächelte sie mich noch einige Male an. In der Nacht hat sie oft, wie mir die Wärterin erzählt, „Heini“ gerufen.

Mit Julius in die Frankgasse. Wir fanden in der Kasse einen kurzen Brief, vom 10. 1. 1911 „am Tage vor der Volkszählung“ an ihre „theuern Kinder“, in dem, von unbedeutenden Bestimmungen abgesehn (Tante Pauline 10.000 Kr.) wir zu Erben eingesetzt werden.― Wieder zurück ins Sanatorium, wo schon Herr Breitner, der sich uns für das äußerliche unvermeidliche zur Verfügung gestellt.―

Mit O. nach Hause. Las einiges, was über die Bea. in Hamburg gedruckt worden war.―

Fuhr mit O. wieder hinein, brachte sie Frankgasse, ich ins Sanatorium; wo Julius und Hajek. Nach zehn begleiteten wir den Leichnam unsrer lieben Mutter in die Frankgasse ― wo alles zum Empfang bereit war. Wir sechs saßen noch einige Zeit im Salon ― so wie an den Familienabenden. Und unsre arme Mutter lag todt daneben. Und wieder erträgt und überlebt man einen Schmerz. Unvergeßlich, ewig unvergeßlich der ungeheure Ernst ihres Antlitzes.