Sonntag, 7. November 1897

7/11 Sonntag.― Philh. Conc.― Nm. Mz. I da. Sie kam mit der Rolle aus den deux gosses, die ich mit ihr correpetiren sollte.― Sie hatte beschlossen „vernünftig“ zu sein und war ganz rührend. Sie erzählt mir vom Grafen B., der ihr sehr heftig den Hof mache.― Sie weinte entsetzlich.― „Ich fühle ja dass ich dich verloren habe und weiss dass ich Schuld war, und doch kann ich nicht aufhören dich zu lieben ― ich empfind dasselbe wie ein Mädel die das erste Mal küsst, wenn ich dich küsse ― wie vor 8 Jahren ist es ― und doch weiss ich ja ― ich werde das Leben nicht weiterführen können ― und es wird schrecklich sein, denn mein Herz ist immer bei dir.“― Ich bat sie mir jedenfalls ehrlich zu sagen ― Der Grf. B. sitzt immer schon bei der Hausmeisterin im Carlth., wenn sie kommt.― Ich war sehr ergriffen.― Dann bei M. Rh., die ich mit Zärtlichkeit liebte.― Ich verstehe jetzt die Geschichte vom Grafen von Gleichen ― ich versteh überhaupt viel und bin sehr mild.― Ich traf Dr. Wertheim, der Olga operirt hatte; sie ist nach gut ausgegangner Operation an Phlebitis und Pneum. sept. gestorben.― Gespräch mit Salten. Empfindung von Fülle des Lebens. Man müßte schreiben, weiss nicht wie ― endlich kommt ein großes Gefühl über einen, das der Fülle Einheit gibt. Bei mir heute z. B.: große Milde, Verzeihn ― vielmehr: „Nicht begreifen, dass man nicht verzeiht.“ ― Dr. Wrth. geht nicht zum Begräbnis von Olga;― ich auch nicht ―„Die nicht zum Begräbnis gehn“. Empfindung: Ich bin ein schwacher Künstler, aber ein sehr tiefer Kenner von Menschenseelen; könnte mich irgend einer controliren, so müßte ich ihm ähnlich räthselhaft erscheinen wie unsereinem z. B. ein Rechenkünstler.

1897-11-07