Mittwoch, 23. Jänner 1895

23/1 Nachzutragen: Dilly teleph. gestern Abend um 12 zum 2. Mal ins Kfh., wo ich gewesen. Ich fragte: Was machst du?― Sie: Ich lese Klein Eyolf ― ich geh aber gleich schlafen.―

― Heute Mittag ein sehr zärtlicher Brief von Dilly, sie habe vor meinem Haus gewartet.― Nm. teleph. sie. Ich frage sie, in meinem wachen Verdacht: Gestern gut unterhalten? Sie: „Ich hab gespielt etc.“ Ich meine nachher.― „Oh ich war noch lang auf, bin im Zimmer herumgegangen, konnte bis ½4 nicht einschlafen, das passirt mir jetzt oft,― ich habe dann noch den Schluss von „Sterben“ gelesen ― du, das ist aber schrecklich ―“ Ich antwortete nichts.― Sie ― Kommst du heut Abend um ½11?― ― Ich: Ja.― Nun war mein Verdacht beinahe zur Sicherheit [!]; ich glaubte deutlich die Angst herausgehört zu haben, dass ich Licht in ihrem Zimmer gesehn.― War sehr, sehr verstimmt, war es schon den ganzen Vorm. gewesen.― Salten kam etwa um 5 zu mir.― Wie er hereintrat, wußte ich es. Zuerst sprachen wir gleichgiltiges, dann fragte ich: Warum waren Sie gestern nicht im Kfh.?― Er: „Ich bin vom Theater direct nach Haus gegangen.“― Ich: Das ist nicht wahr; Sie waren bei der S.― Er bestritt es anfangs, allerdings nicht sehr energisch. ― Ich: Wenn ich Ihnen nun sagte, dass ich Sie beim Hausthor hinausgehen gesehen?― Er: Wann?― Ich. Z. B. um halb vier?― Er: Nein. Später. Ich: Fünf? Er. Nein, um sechs.―Ich ging während des ganzen Gesprächs im Zimmer auf und ab ― wie dieses entscheidende Wort gesprochen wurde, gab’s mir doch einen Stoss.― Er erzählt nun alles. Gestern bevor ich dort gewesen, ½1 Vorm., hatte sie, um 12 teleph., gefragt, was wir gestern noch mit einander gesprochen. Dann wurde event. verabredet, dass er sie Abds. vom Theater abholen solle. (Sie spielte.) Er war im Carlth.; ich hatte anfangs auch dazu wollen, in diesem Falle hätte er mich, sagt er, vorher avisirt. Nun, um 10 holte er sie ab. Beim Hausthor: „Nun, auf eine viertel Stunde können Sie noch zu mir herauf.―“ Er kam herauf; bis drei blieben sie im Speisezimmer, sie trank Wein. Um drei schickte sie ihn quasi weg, lud ihn aber [dann] (sie nimmt sich nicht die Mühe die Technik ihres Liebeslebens zu ändern) ein, in zehn Minuten zu ihr ins Schlafzimmer zu kommen, mit dem Ehrenwort, keine Dummheiten zu machen. Er gab es.― Bis sechs war er bei ihr ― und nun kommt das erbärmliche, komische, widerliche ― berührte sie nicht ― aus einem mir selbst so wohlbekannten Grund ― der das glaubhaft macht, so unglaublich es sonst auch sein mag. Es ist übrigens absolut belanglos ― dass es nicht an ihr lag, das weiss ich!―

― Was ich bei dieser Geschichte empfand, war sonderbar. Alles mögliche, was bei einem Betrug von einer wirklich Geliebten empfunden wird, trat auf, aber rudimentär. Es war selbst ein momentaner Schmerz da. Dann eine wehmütige Sehnsucht z. B. nach den Ischler Tagen, die ich mit ihr verbracht (damals hab ich sie ja auch eigentlich nicht leiden können) ― Und endlich eine große Abspannung wie nach gewaltigen Aufregungen.― Im ganzen war ich froh, dass Salten sein Wort gehalten hatte.

Nach dem Souper holte ich Salten ab; es war beschlossen worden, dass statt meiner (ich hatte ja um ½11 mit Dilly Rendezvous!) er hingehen sollte, sagen, ich wisse alles, habe ihn um 6 aus dem Thor kommen sehn.― Wir setzten uns dann in die Casa piccola, vor dem Volksth. vorüberzugehen hatte ich einen Widerwillen ― waren beide aufgeregt und hatten Angst vor den kommenden Scenen.― Er ging zu ihr; ich über die Rahlstiege ― nach Margarethen, meine psychologischen Andachten verrichten, vor Mz.’s Haus, vor die „Glocke“ u.s.w. Um ½12 ins Griensteidl.― Da wurde telephonirt.― Sie!― „Thuri.“ ― Ich rief einfach „Schluss“.― Dann ging ich nervös weg; mit Leo Vanjung, der eben gekommen war; wir bummelten durch die Stadt und sprachen von den Betrügereien der Frauen und Männer. Fischerstiege, dann die alte Ruprechtskirche, die ich sehr gern habe.― Zurück ins Griensteidl.―

Salten kam um 2, wir gingen zusammen weg, in ein kleines Kaffeehaus in der Währingerstraße.

― Wie er gesagt hatte, ich wüßt alles, war ihr erster, rasch verschwundner Verdacht, dass er mir’s gesagt; dann aber nahm sie die Nachricht ― mit großer Fidelität auf. „Es mußt ein Ende nehmen ― es ist eigentlich gut so ― es war nicht mehr das rechte ―“ Dann kam plötzlich das Gefühl (jetzt wird es sehr komisch) der Unschuld über sie, es sei ja eigentlich nichts geschehn, und sie könne ohne mich nicht leben. (Da lief sie telephoniren und kam zurück mit „Schluss hat er gesagt“.) ― Dann kamen die Selbstmordideen; in die Donau … Dann sagte sie ― (und dieses Wort ist göttlich!) „Ich bin ja keine ordinäre Person! Wenn ich gewußt hätt, dass er es erfährt ― hätt ich das ja nie gethan!“ ―

Salten kam zurück, entsetzt von ihrer Leere, ihrer Zusammenhanglosigkeit ― und konnte mir alles nachfühlen.― Wir mußten sehr lachen; und alles schmerzliche von Nachmittag war verflogen. Ich hatte nur das angenehme Gefühl von diesem Weib erlöst zu sein.― Nachzutragen: ich hatte Salten beauftragt zu sagen, dass ich fassungslos vor Wuth sei, dass es eine fürchterliche Scene geben würde, wenn sie versuchen würde, mich zu begegnen und sogar dass ich die Absicht habe, mein Stück vom Burgth. zurückzuziehen. Das letztere scheint sie doch nicht geglaubt zu haben.

1895-01-23