Samstag, 7. September 1889

Reichenau, 7. 9. Samstag Nachts.― Und wieder hier! In meinem Zimmer Eben sass ich mit ihr ein paar Stunden auf der Fensterbrüstung in der Kanzlei, meist war Rettinger oder „er“ dabei, manchmal allein Und draußen zog die Herbstnacht hin ― Wir sprachen über alles mögliche, wenn irgend möglich, warf sie ein Liebeswort dazwischen ― sie sagte, dass sie nie aufhöre mich zu lieben. Meist englisch ― der Sicherheit wegen. I love you more every day but you don’t love me; you love somebody else― Und ihre „wunderdunklen Augen“ sprachen mit.― Wie ruhig wie merkwürdig wie fast glücklich fühlt ich mich ― Fern von allem, was mich daheim quält ― und was mich selig machte. Lieb ich Olga? ― Lieb ich Mizi? Beide? Keine? ― Die eine anders und die andre wieder anders! Oh was ist alles über mich hingefahren, seit ich ― vor 3 Wochen das letzte Mal hier war und von hier direct zum Muttergottesbild fuhr ―

― Also ich hatte Mizi damals nicht getroffen ― am Tage drauf schrieb ich das letzte Mal in mein Tagebuch ― Gleich darauf erschien ein Brief von Mizi ― sie habe gewartet ― nur später ― wegen des Regens, der Wachsamkeit zu Hause ― Ein paar Tage drauf, am Mittwoch fuhr ich verabredetermaßen hinaus; wir trafen uns im dunkelnden Wald, stürzten uns an den Hals, waren selig ― Sonntag (1. 9.) kam sie nach Wien, auf ein paar Tage, allein, ― dahin ist das gesaust wie ein Traum, die Tage und die Nächte alle! ―

Wie wir im Chambre séparée waren, dann in einem elenden Hotel garni unsre erste Nacht verbrachten! Wie wir Tags drauf zusammen dinirten, und Abends spazierengingen, und in einem Kaffeehaus in der Vorstadt saßen! Wie wir da von ― Theodor sprachen! Dann irgendwo auf der Wieden soupirten und spazierenfuhren. Wie sie dann ihren plötzlichen Anfall von Eifersucht bekam, und einen Brief von ihrem Fenster Nachts auf die Straße warf, dass ich sie betrüge, dass sie mir aber verzeihe, weil sie mich liebe ― Wie wir dann am nächsten Tag wieder zusammen speisten in jenem Hotel auf der Wieden und wir uns Abends auf der Bahn trafen, weil sie wegfahren sollte. Und dann, wie sie wüthend wird, mir einen Skandal macht, dass ich sie fortfahren lasse!― Und sie blieb ― und dann die Nacht wieder, und das Frühstück im Bett ― und das Nachhausefahren Abends im Coupé, wo wir so selig waren! Nein, das Mädl ist zu süss und zu schön! Confus, leichtsinnig, graziös, sentimental. Das rechte Mädel, um einen toll zu machen!―

― Begreiflich, dass ich diese Tage hindurch Jeanette rein vergass!― Und diese! Welche ewigen Scenen! Wie sie bald weint, bald droht, bald wieder mir die Hand küsst ― wie sie mich mit ihrer Eifersucht zur Raserei bringt, wie sie mich enervirt, wie ich sie hasse ― und wie dann gerade wieder die verrücktesten Extasen von einer [überschnappten] Sinnlichkeit kommen! Die keuchenden Athemzüge einer Liebe, die sich vor dem Sterben fürchtet!―

― Gestern, was war das für ein Tag! Nachmittag fuhr ich hinaus zu Mizi ― Auf der Landstraße schon, während es dünn und grau regnet, springt sie mir entgegen, wirft den Regenschirm neben den Straßengraben und liegt mir am Halse. Und nun zusammen in so ein Landwirtshaus, wo daneben die Bauern faul sind und trinken. Und wir, am Tisch in dem kleinen Kämmerchen sitzend. Sie, jung, schlank, mit den verwunderten schwarzen süßen Augen, das aufgelöste Lockenhaar über den Schultern und im Nacken. Wir küssen uns über den Tisch hinüber, wissen kaum ein Wort zu sagen vor Wahnsinn, vor Liebe. Und die Lampe, die wir zeitweise niedrer drehen!― Und der lächelnde Wirth. Und wir gehen, und auf der Straße fällt mir ein, welche Gefahr von der Schwester droht, der die Mutter offenbar die entdeckten Briefe zeigen wird. Und es geht ein Schwören an, daß wir uns keineswegs lassen, und mir am Halse weint sie, küsst mich, will mich nicht fortlassen, will mit mir! ― Und nun komm ich nach Wien, fahre zur Jeanette, der ichs gestern versprochen.―

Ich sage ihr, dass ich am Tag drauf nach Rchn. fahre. Scene Nichts, nichts hab ich von dir, dir widme ich ein Leben, und die letzte hat es besser; ― u. s. w. Und ― du läßt mich allein zu Hause sitzen, während ich kein andres Vergnügen habe, als dich, nur mit dir will ich sein, und ich will, und ich werde das nicht länger ertragen.― Und sie beginnt sich anzukleiden, will weg. Wohin ― ? ― Wirst es schon hören Natürlich halt ich sie wieder zurück; so sehr ich auch überzeugt bin, daß sie sich nicht umbringen würde. Mit Lügen, mit erlogener Zärtlichkeit, die nur meine leicht wache Sinnlichkeit glaubhaft machen kann, beschwichtig ich sie wieder ― Heut hab ich ihr einen Brief niedergeschrieben, ― dass mich tausend Fäden an die Außenwelt ketten, die ich nicht zerreißen kann und will ― Ich fuhr also hier heraus; ein Brief von Olga, schön und tief, hatte mich dazu aufgefordert Und da bin ich ― Hier weht doch eine andre Luft Sonderbar, dieses Weib! Ich glaube nicht, daß sie mich liebt Sie hat eine große Meinung von mir, das spielt da sehr mit Wie tief unter Ihnen stehen die andern, die ich kenne, sagte sie heute.― Kann denn wirklich das Bewußtsein „rein“ zu bleiben so schön sein, daß man deshalb auf ein Glück verzichtet? ― Sie kann es also nicht als ihr höchstes Glück ansehen ― sie liebt mich also nicht ―

― Man wird nicht fertig damit! nein nein! ― Und wie fühl ich mich bei dem allen?― Kommt nicht eine geckenhafte Selbstzufriedenheit mit? Nein Ich spür gar nichts davon ― Aber er hüllt so warm ein der Hauch eines Frauenmundes, aus dem es einmal geklungen „Ich liebe dich“. Immer klingt dieses Wort mit, wenn sies einmal gesagt hat Wenn Liebe Verwirrung, Eifersucht, Seligkeit, Angst vorm Ende ist, dann lieb ich Mizi ― aber heute offenbar ist es so ― oder täusch ich mich ― nicht so heftig und schmerzlich wie gestern ― weil ― ich unten bei Olga gesessen, und ihre weiße Hand berührt habe und sie mir gesagt hat, daß sie mich liebt ―

[Chronik September.―]

7. Reichenau.― Olga.