Samstag, 13. Juli 1889

13/7 Samstag Nachmittag.

Und so erleb ich wieder eine merkwürdige bizarre Jugendliebe mit dem Bedürfnis, vor ihren Fenstern hinundherzugehen, Verse zu machen! Eine ewige Unruhe, fern von ihr, eine unaufhörliche lächerliche kindische Aufregung ― und ein süßes Glück bei ihr, mit ihr, an ihren Lippen! Und das ganze ist sonderbar genug! Sie will und kann mir die Illusion nicht rauben. Denn sie hat mich offenbar gern, liebt mich wohl in ihrer Weise… Sie kann es mir nicht gestehn ― und mehr als das ― sie kann auch ― so glaubt sie noch ― die meine nicht werden. Aus verschiednen Gründen. Vor allem, weil ja dann die Illusion, sie sei jungfräulich, sofort zerstoben wäre. Dann aber auch, weil etwas in ihr danach verlangt, eine reine unschuldvolle Liebe zu durchleben, voll Jugend, ― sie will so scheints von neuem jungfräulich werden. Und ich ― der ihre Vergangenheit kennt, darf vor ihr nichts davon wissen. Ich kann, darf ihr nicht sagen: Theodor war dein Geliebter ― denn ich hab es als Geheimnis von ihm übernommen… Fürwahr, eine eigenartige Situation! Ich kann nur manchmal den Ahnenden spielen ― sie aber fürchtet manchmal, dass ich mehr als ahne. Nun nahmen die Dinge so ihren Fortgang. Sie kam zu mir, war manchmal in der Wildheit der Küsse nahe daran, den Verstand zu verlieren, hielt sich dann aber wieder zurück. Sonntag (6.) fuhr ich mit ihr in den Prater… In den Auen an der Donau gingen wir spazieren; legten uns ins Gras … da wurde das erste Mal davon gesprochen… Da sagte sie: es müsse aus sein zwischen uns, wenn ich „das“ verlange. Und ich ― kann darf es nicht sagen: Ich weiss es ja, dass ich nicht der erste wäre!― Ich werde also lieber still… mein Gesicht verdüstert sich. Nun fühlt sie wieder ihr Unrecht ― fällt mir um den Hals und ist verrückt. Wie wir im geschlossenen Wagen zurück fahren, hängt sie wie eine tolle an meinen Lippen, als wollte sie mir alles abbitten: dass sie mich belügt, dass sie eine andere war, dass sie mir nicht angehört ― Wie wir in die Nähe ihrer Wohnung kommen, will sie nicht aussteigen, will mit mir bleiben ― Sie geht.―

Und ich, nachdem ich irgendwo in der Nähe allein genachtmahlt, fühle! nach ein paar Gläsern Bier!! ein merkwürdig traumhaftes Glücksgefühl, wie im Erwachen einer neuen beseligenden Liebe, und geh dann noch vor ihr Fenster, wie ein Schulknabe „und „ach“ und liebe wieder!“.

Am nächsten Nachmittag kommt sie zu mir, rasch, im Reisemantel, Abschied nehmen. Sie zieht aufs Land ― Gestern hab ich sie dort getroffen ― In einem kleinen Wirtshaus an der Westbahn treffen wir uns ― ein heißer Sommernachmittag ― sie ist reizend, das Ideal des „süßen Mädels“, wie ichs geträumt! Wir bummeln weiter, ins Land hinein, in den Wald. Und wir legen uns hin ― und wie ich ihr nacktes Knie küsse, ist sie wieder die „wilde Jungfrau“ die mich fortstößt ― Und ich ― ich! kann nicht reden! darfs nicht sagen! ― Also ich theoretisire… dass man sich schließlich doch nicht mit der Seele liebt ― Wie sie sich wieder sichrer fühlt ― auf dem freien Feld, sieht sie wieder ein, dass wir uns doch wieder sehen müssen ― nicht „da ist es gescheidter, wir sagen uns auf immer Adieu!“ ― und springt mir an den Hals und ist das verliebte junge Ding. Und wir sagen uns Adieu auf ein paar Tage. Im Ort selbst begegne ich sie noch mit ihrer Freundin; dann sitzt sie mit Mutter, Bruder und Freundin im ländlichen Wirtshaus, an dem ich vorbeigehe, weils mir keine Ruhe läßt ― Sie fliegt heraus, kommt mir mit irgend einem Dorfmädel nach ― hat aufgelöste Haare, springt und tollt und plauscht noch ein paar süße Worte von Liebe und dergleichen!―

Und ich fahre herein, ersehe, wie sehr ich verliebt bin, da ich nicht einmal im Eisenbahnwaggon einschlafen kann!―

― Und kann mich nun nur ohne sie zurechtfinden ― wenn ich von ihr schreibe ― recht weitläufig ― ganz nach Art der ersten Liebe ― es ist einfach zum toll werden!― Wenn ich mit ihr bin, ist mir, als wäre die ganze Geschichte mit Jeanette längst vorbei, oder leicht zu Ende zu bringen ― Und dann bin ich wieder mit ihr, die jetzt schöner ist als je und eifersüchtig und weiss Gott was alles! Und sonderbar, gerade an diesen letzten Sommerabenden erfasste mich häufig eine heißere Leidenschaft in den Armen dieses Weibs als lang zuvor! Eine Flut von Sinnlichkeit durchströmte uns, als wären wir gerade jenes Menschenpaar, das zu einander gehört, und sich nie verlassen darf! kann! ―

Es kommt ein merkwürdiges Element hinzu! ich empfind es als angenehm, wohlthuend in Jeanettens Armen, dass ich dadurch ― Mizi untreu bin, diesem Mädel, das mich so leiden macht ― es befriedigt mich ― das Gefühl des Hasses, das man gegen jedes Mädel hat, das man liebt, wird ein wenig befriedigt ― Es ist so süss zu betrügen! ― Leider denken sich das die Weiber auch! ―

― Und neulich war ich in B. ― liess mich von der Gegenwart Hel. berauschen ― ach nein beruhigen, ― die vielleicht mein Lebensglück ausmachen würde!― Zwei Stunden sass ich vis à vis ― dem reinen schönen Wesen, das mich ― vielleicht wirklich liebt!―

― Wie die Sache mit Mizi R. endete. Ich war einmal in Baden wo sie mit Richard vorausgefahren war. Auch Max F. in Husarenuniform war dort. Auf der Rückfahrt vertheilte sie ihre Zärtlichkeiten etwas zu gleichmäßig unter uns drei. Ich habe sie lange nicht gesehn.

1889-07-13