Mittwoch, 3. Juli 1889

3/7 Mittwoch Nachmittag.―

― Sie kam regelmäßig, fast alle Tage zu mir herauf; die Plaudereien wurden immer, immer länger… Ich melancholisch, vielleicht, aber wirklich sehr wenig Pose dabei. Sie findet plötzlich, mir fehlt Liebe… Nun war das folgende natürlich… Sie wehrt sich anfangs, küsst dann selbst, lacht und weint, hat ein ganz verändertes Gesicht… Nicht das Gesicht der ersten Liebe! im ersten Momente merkte ichs… Nimmt meinen Kopf in die Hände, küsst mir die Augen… Will dann fort auf Nimmerwiedersehen, will brav bleiben. Kommt wieder, ist zärtlich, ist glücklich ― wie sie sagt… Wir treffen uns im glücklichen Moment. Sie eben verlassen von Theodor (was sie bis heute noch nicht zugestanden) einem charmanten eleganten Menschen, aber nur mäßig vernünftig. Sie, angehende Künstlerin, lebhaft, liebebedürftig, mit leichtem Anflug von Sentimentalität findet mich, „eine Art von Poeten“, der ihr die ersten Stunden der Trennung wegplaudert; mich, der selbst von den letzten Zuckungen einer ersterbenden Liebe gepeinigt, enervirt, einer neuen zugänglicher ist… als je… diese zwei müssen sich in einander verlieben oder müssen es glauben.

…Ich aber bin arg drin, denn neue Dinge haben gezeigt, dass es zwischen mir und Jeanette doch nicht fertig ist… Plötzlich kommt ein Kerl, der mich einmal mit ihr gesehn; ein charakterloser Kerl, was aber hier nebensächlich ist, der mich im Billardspiel betrogen hat, was auch nebensächlich ist, und sagt… Sie ― dieses Mädel, mit dem ich Sie neulich gesehn, die hab ich vor 4 oder 5 Jahren gehabt…

― Ich, ganz ruhig: So ―?…

Sie heißt Anna, war einmal beim Theater.

Jaja stimmt schon ―

Ich erzähle es Jeanette, nachdem ich einen furchtbaren vernichteten Nachmittag verbringe. Ich weiss, dass es wahr ist; denn ihre Vergangenheit ist eben die banale Vergangenheit des leichtsinnigen Vorstadtmädels, die sich nicht viel überlegt… Heute ist etwas andres… Sie hat einen gefunden, der doch schließlich etwas ganz andres ist und hat sich von dem geliebt gewußt… Sie fühlt sich selbst eine andre werden ― sie fühlt sich geläutert, in einem neuen Glück lehnt sie sich an die Brust dieses Mannes, der sie emporgezogen hat … Sie liebt ihn… denn sie ist in ihn verliebt ― sie liebt ihn noch viel mehr, denn sie ist ihm dankbar, ohne es selbst recht zu wissen … Sie glaubt, dass sie ihm genug von ihrer Vergangenheit gesagt ― sie kann ihm nicht alles sagen… was er jetzt erfuhr, ist nicht wahr! Es darf nicht wahr sein, denn gewiss wird er ihr dann gar nicht mehr glauben ― ja er würd sie vielleicht verlassen, er, der ihr so unendlich viel geworden ist!

Und vielleicht sucht er gar schon mit ihr zu brechen! Sie hat gemerkt, dass er sich häufig langweilt bei ihr, dass er kühler geworden ist, dass er sie vernachlässigt. Also sie läugnet… Es ist nicht wahr ―! Wer ist denn der elende! der so etwas behauptet.

… Kein Name wird genannt ― ganz einfach mein Kind, nächstens werdet ihr euch gegenüberstehen ― sie scheint erfreut darüber sie „brennt darauf“ ihn wiederzusehen ― Er kennt ja ihren Zunamen nicht, er hat sich geirrt, sie sagt, er muss sich getäuscht haben, es war eine andre Anna! nicht sie!…

Unterdessen schreibt mir der Herr Dr. F. einen Brief ― nachdem er ein paar Minuten vorher bei mir war; er hat sich auf den Namen besonnen… dies ist er!―

Stimmt!―

Ich führ sie Montag Abend am ersten Juli zur Augartenbrücke. Knapp vorher sage ich ihr ― Wozu noch leugnen ― er kennt auch deinen Namen.

So! ― jemand hat sich für mich ausgegeben…

Da ist er!―

Wer?

Sie spielt vollkommen die Nichterkennende.

Dies, liebes Kind, ist der Herr…

So…! Sie wird wüthend, er ruhig schwört, ― nennt die Vorstadt, wo es geschehn, er wird das Haus finden.

Wir fahren hin… er glaubt einige Häuser zu erkennen … kann es aber schließlich nicht finden. Wir durchwandern zu dritt in der Abenddämmerung die Winkelgassen, klopfen an dies oder jenes Thor. Es läßt sich nichts erweisen ―

Wir fahren nun zu Herrn A. H. der sie dem Dr. F. vorgestellt haben soll. Ich kenne ihn, ein alter Bekannter von mir, der seither ein Mädel ― Betti, eine langjährige Geliebte, sonderbarer Weise die directe Vorgängerin Jeanettens an der Wien geheiratet hat.― Er kommt herunter, kennt Jeanette sehr gut, ja er hat sie ihm vorgestellt, hat sie dann allein gelassen ― vor nun fünf sechs Jahren. Mehr weiss er nicht. Jeanette gibt zu, das sei möglich … Sie wird fast sinnlos vor Wut und Verzweiflung, ich geleit sie nach Hause. Sie weint fast ununterbrochen und betheuert ihre Unschuld. Ich beweise ihr … unmöglich ―

Endlich werde ich halbrasend, zerschlage was, zerreiße mein Hemd ― sie wird ruhig, milder…

Am nächsten Morgen war sie schon bei Arth. H. ― zu dem ich dann auch gehe, der mir mittheilt, was ich weiss, daß A. F. ein großer Schuft ist der auch viel aufschneidet, wozu aber in dem vorliegenden Fall nicht eine Spur von Grund vorliegt.―

― Heute Abend seh ich sie wieder; sie wird weiter schwören; wird sich darauf stützen, daß Fr. ein Schurke sei … Ich weiss das alles… Ich hab ihr zwar gesagt. Gestehs doch ein! Was kümmert mich, was vor 5 Jahren geschehen ist ― Aber sie kann nicht mehr zurück! glaubt sie ―

Abende in Döbling

bei der Nordwestbahn; wo sie Eifersuchtscenen macht und ich an Miza eifersüchtig denke.

Wie mir Theodor an dem selben ersten Juli Vormittag im Spital sein Verhältnis mit Miza erzählt.