Sonntag, 2. Juni 1889

2/6 ― Sonntag.

Welch eine Melancholie umfängt mich heute! Ein heißer Sommernachmittag, ich bin allein zu Hause ― In alten Briefen hab ich geblättert, in Olgas Briefen… Dieses schauerliche Gefühl, dass alles, alles verblaßt!…

…So ekelhaft wie heut war mir lang nicht zu Mut! ― Wie einem dieses schöne goldne Leben unter den Händen zerrinnt… Und dabei diese wüste Gegenwart. Eine Scene mit Jeanette gestern Abend, die mich halb toll machte, stimmt mich besonders herab. Durch einen Zufall hat sie von meinen Kartennächten erfahren, machte eine Höllenscene, hatte ihre Zustände. Ich wurde nervös zum Zerspringen; sah mich durch Mitleid und Gewohnheit gefesselt. Lag bei ihr oben zwei Stunden auf dem Sopha, weinte vor Zorn. Dann wird sie natürlich zärtlich, fühlt doch, dass es ihr schrecklich wäre mich zu verlieren … Ja würd ich sie lieben! Wär ich da nicht glücklich, einen solchen Nachmittag mit ihr zu verbringen, statt in alten Erinnerungen zu wühlen, die mich verdüstern ― Nein, ich schieb es auf, so lang ich kann ― ich schrieb ihr, dass ich erst nach dem Souper komme. Und dann wieder dasselbe! ― Sie enervirt mich, sie macht mich rasend! Warum kann ich denn nicht mit einem Schlag ein Ende machen ― Warum hab ich sie gestern beim Arm gehalten, als sie davonrennen wollte? Warum? Weil ich Angst habe, daß sie zusammenstürzt! ― Und ihre verrückten Bemerkungen: Wenn ich nach Hause komme, werd ich etwas thun, was dich reut! ― Und sie ists im Stande! ― Ja aber was soll ich thun! Wenn ich immer für sie zittre!… Nichts schauderhafteres als die Agonie eines Verhältnisses ― Besonders für einen Menschen wie mich, der mehr Erinnerungen und Ahnungen als klare Empfindung der Gegenwart hat ― Ich glaube, daß viel mit meiner elenden Gemütsstimmung, einer nicht unbegründeten hypochondrischen Verstimmung zu schaffen hat.

― Ja! es zerrinnt, das „goldne“ Leben! Noch ein paar Jahre, und dahin die Jugend, von der ich mir als Knabe so besondres erwartet habe!―

Und heute! ― Ein Mediziner ohne Praxis! ― Ein Poet mit mittelmäsigen Erfolgen! Ein junger Mann mit Liebeleien ohne Liebe! ― Und alles verläuft so in den Sand! Die großen Abenteuer und die kleinen Dummheiten! Oh nein, viel ärger! Das große Abenteuer ist verflogen, wie jede Nichtigkeit, nur die kleine Dummheit ist groß geworden und läßt mich nicht los!…

Viel Geld und ein paar Weiber, andre Weiber, und dann ein bissel Leichtsinn braucht ich! Denn das ist das ekelhafte an meinem Leichtsinn! es ist kein wahrer! ― es ist die verkleidete Schwermuth! Ich hab mich nie so recht, hingebend ohne Nebengedanken an was gefreut. Immer kommt alles mögliche andre! ich bin, nein ich bin kein Lebenskünstler; stümperhaft genieße ich, „mit knarrend’ Schritt tret’ ich in das Haus der Freude“; wenn ich in die Sonne sehn will, brauch ich dunkle Brillen… Der schöne Gedanke, dass diese „Stimmung“ ein Ausfluss übergroßer Jugend sei, ist nun dahin! ich bin 27 Jahre, und es ist wahrhaftig nicht besser geworden.

Wie ich mich schon selbst beobachte: jetzt schon, doch eigentlich lächerlich früh beginnt sich das Angstgefühl der Männer entre deux ages auszubilden, dieses Angstgefühl, wie einem das Leben unter den Händen zerrinnt! Wie es bald zu spät sein wird!―

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Fortsetzung.