Dienstag, 13. April 1886

13/4 Dinstag. Häufig genug spazierte ich mit ihr und einer andern jungen Frau, Olga W., noch nach dem Souper im Freien hin und her. Ich empfing damals den Eindruck, als wäre ich dieser Frau nicht sonderlich sympathisch. Gleich im Anfang unsrer Bekanntschaft machte sie die Bemerkung, dass ich sie an einen (mir wohlbekannten) jungen Mann, Namens Richard E. erinnere. Auch sprach sie von einer Zeit, wo wir in Vöslau als Kinder im selben Hause gewohnt hatten. Beim Namen dieses Richard E. musst ich mich unwillkürlich auch an ein reizendes junges Mädchen, an die oben in Kürze erwähnte Anny erinnern, die sich im Laufe des vergangnen Faschings, wie ich auf Bällen zu beobachten Gelegenheit hatte, für diesen Richard lebhaft interessirt hatte. Heuer sah man ihn nirgends; dagegen wandte Anny H. ein auffallendes Interesse mir zu, und auch ich fand an dem liebenswürdigen Geschöpf ein ausnehmendes Gefallen ― An Frau W. dacht’ ich kaum den langen Winter. Nun komm, ich nach Meran, fühle mich in dem Hotel, das ich zuerst mir als Wohnort auserkoren, nicht wohl, und ziehe am zweiten Tage in den Tirolerhof. Am gemeinschaftlichen Tische, der uns zum Souper vereinigt, sitzt auch Olga W., die ich bereits auf der Straße flüchtig erspäht. Ein paar gleichgültige Worte wurden gewechselt; dann setzte ich mich zu der Familie meines guten Freundes Nixl, die zum Aufenthalt dort war. In den nächsten Tagen fügte es der Zufall nur ab und zu, daß ich mit Olga W. ein paar Worte wechselte. Bei der Table d’hôte kam ich erst am Anfang der letzten Woche neben sie zu sitzen. Da sprachen wir denn mehr miteinander, und nochmals kam sie darauf zu reden, dass ich sie an Richard E. erinnere.―Ich begann bereits zu fühlen, daß wir einander näher kamen.―

― Ich habe ein großes Vertrauen zu Ihnen ― sagte sie plötzlich ziemlich unvermittelt ― „komisch daß ich Ihnen das selbst sage“ ― Ich versetzte aufrichtig, dass mich dieses Vertrauen noch mehr freuen würde, wenn dies nicht, wie ich vermuthen müßte, ein Vertrauen aus zweiter Hand wäre.―

Finden Sie nicht, sagte sie ein andermal, daß wir fast in allen Dingen die gleichen Ansichten haben? ― Bald war nun zufällig das Gespräch auf Aberglauben u. dgl. gekommen; ich erzählte, daß die Zahl 26 für mich eine eigentümliche Bedeutung habe.

― Nach einer kleinen Zwischenpause kamen wir auf die Zimmer Nummern zu sprechen. Meine war 5. Die ihre ist ― 21 ―

Einundzwanzig und fünf sind sechsundzwanzig.

Wir sahen uns an ― sie hat die herrlichsten Augen ― damals begann ichs zu empfinden.

Bald darauf forderte sie mich auf, eine Partie mit ihr und der Familie S., resp. deren 2 Töchtern zu machen ― die eine ein wildes Kind von 13 Jahren, die andre ein unbedeutendes ausgewachsenes Mädl. Wir gingen am nächsten Morgen selbviert ins Naifthal.―

Morgen werden es acht Tage, daß ich dort war ― mir liegt eine Ewigkeit dazwischen. Es wurde kaum etwas zwischen uns gesprochen, und doch empfanden wir damals bereits beide, was wir uns zu werden begannen. Dass man auch von solchen Minuten, wie wir sie damals verlebten, nichts zurückbehält als die armselige Erinnerung und vielleicht ein paar gepresste Blumen ― das macht das menschliche Leben so erbärmlich ―

Wie wir oben am Meyerhofe saßen und hinabschauten in das Meraner Thal bis Partschins, ein Dörflein, wie von einem müden Gotte an den Berghang hingekleckst, …wie ich mich da sehnte, diesem Augenblicke mein Verweile doch, du bist so schön ― zuzurufen ― ach es ist vorüber, und ich sitze da ― im Ordinationszimmer meines Vaters, der heute verreist ist, draußen regnets, und ich warte auf Patienten, bin aber froh, daß keine kommen, weil ich nun Zeit habe, von ihr zu schreiben.―

Der Tag des Naifthals ging vorüber ― aber es kam ein schönrer. Am Tag drauf, Donnerstag machten wir, die ganze Familie S., Olga und ich einen Ausflug. Vater und Mutter S. fuhren nach Bozen; die zwei Mädchen, die junge Frau und ich stiegen in Sigmundskron aus und wanderten in den Wald. Und dann lagerten wir an der Lehne eines Weinbergs, ich neben ihr ― es war wieder einer jener bis zu Thränen glücklichen Momente. Dann stiegen wir zur Burg hinauf; sie über Geröll und Steine, nächst der schwindligen Mauer. Sie rutschte ab; die Steine kamen ins Rollen, ich fasste sie bei der Hand, sie machte eine todessehnsüchtige Bemerkung ― Was wäre dran gelegen, wenn ich hinabgestürzt wäre?

― Dann gings wieder hinunter zu Thal, wir nahmen einen Wagen, und fuhren nach Bozen, wo uns die alten S. schon erwarteten. Und der Tag ging wieder zu Ende, bald saßen wir im Waggon ― sie mir gegenüber, und ich hatte wieder die elende Empfindung, als ich in diese schwarzen unvergesslichen Augen sah ― … auch diese Minuten schwinden. Immer wieder sah sie zurück nach Sigmundskron, das durch die sonderbaren Schlängelungen der Bahn bald verschwand, bald wieder sichtbar wurde ― Endlich war es ganz verschwunden, zwei Tage später, als ich Meran verliess, sah ichs, Nebel lagen schwer darüber, und es goss in Strömen ― ― da sah ichs wieder, und es krampfte mir die Brust zusammen, und ich weinte, wie ein Kind, wie ein Narr, wie ein Unglücklicher!

― Eine halbe Stunde nachdem wir an jenem Abend angelangt waren, saßen wir zusammen bei der Table d’hôte. Da wendet sie sich zu mir und sagt leise ― Ich wollte, alle um uns versänken in die Erde und wir zwei blieben allein auf der Welt.―

Da wußt ichs!

Dann, nach dem Essen, wie am Abend vorher, setzte ich mich zum Klavier und spielte. Vater und Mutter S., die zwei Töchter, ein eleganter Herr B. waren noch im Saal ― Olga saß mir gegenüber. Am vorigen Abend hatte ich, während Bertha ein paar Takte spielte, mit ihr eine Tour getanzt ―

Heute saß sie mir, während ich phantasirte, gegenüber; und in ihren Zügen lag eine süße Trauer…

Der letzte Tag kam, schwül wolkig; es war, als ob die Natur sich zu dem rechten banalen Abschiedswetter vorbereitete ― Die Sonne stach, und wir, die zwei Mädchen, sie und ich spielten Croquet. Dann ging Olga mit mir spazieren… das Gespräch stockte oft genug. „Noch eins wollt’ ich Sie bitten; kommen Sie nicht vor Herbst nach R.“ ―

― Ich fragte um den Grund. Sie erzählte mir darauf ihre Lebensgeschichte ― es figuriren darin die bekannten Typen, der strenge Vater, der ungeliebte aber verliebte Mann, dann der geliebte ― in diesem Fall war es jener Richard E., zu dem sie in einem unschuldigen Verhältnis, das durch gemeinschaftliche Lecture etc. gefördert wurde, stand. Ein Handkuss war der Gipfel ihrer Intimität ― „Da kam eines Tages mein Mann zu mir“, setzte sie fort. „Den Mann werde ich erschießen“ ― ― Abschiedsbrief ― Treue dem Gatten ― Schluss. Das sind nun wohl fünf Jahre her ―

Die Eifersucht ihres Mannes also fürchtend bittet sie mich, nicht an ihren Wohnort zu kommen. Dann fährt sie mit bebender süßer Stimme fort nach Einleitungen die mir nicht mehr recht erinnerlich sind ― Ich möchte Ihnen also eine wahre Freundschaft antragen ― ich kann Ihnen ja nichts andres sein ― eine Freundschaft, metaphysisch sozusagen ― Sie sollen denken in jedem Schmerz, in jeder Freude; es ist eine da, die mit Ihnen sich freut, mit Ihnen den Schmerz empfindet ―

― So sprach sie eine Weile fort und mit ganz leiser Stimme frug sie dann. „Wollen Sie diese Freundschaft annehmen?“ Ich nahm ihre Hand und küsste dieselbe leidenschaftlich.―

Am Nachmittag trafen wir uns verabredetermaßen im Lesesaal des Kurhauses und wanderten nach St. Valentin… Wie ists denn nur gekommen zwischen uns? fragen wir uns ― Und mit einer kindischen und grausamen Freude recapituliren wir alle Phasen unsres kurzen Verhältnisses, möchten die Momente festhalten ― es waren die glücklichsten Tage unsres Lebens. Erinnern Sie sich, wie wir vor sechs Jahren im Naifthal waren? Und vor fünf Jahren in Sigmundskron ― Oh das war schön!? ― Unsre Herzen haben eine Ewigkeit durchlebt in ein paar Stunden. Dann saßen wir auf der Terrasse in St. Valentin, wie alte, alte Freunde. Ein Stück von der Quaste ihres Pelzüberwurfes, die sie gern an die Lippe brachte, schnitt sie ab und ich verwahre sie wie ein Kleinod.

― Noch eins; spielen Sie

1886-04-13