5/10 Montag Nachmittag.
Seit jenem Abend in Reichenau hab, ich in diese Blätter nichts eingetragen. Auch jetzt fühl, ich mehr das Bedürfnis, Chronik zu schreiben als mich auszusprechen, auszuduseln, auszulamentiren. Chronikhaft sei also hier dies und jenes verzeichnet.―
Jene Reichenauer Gefühle hatt, ich, wie selbstverständlich und wie ich mir bereits damals klar war, bald verschmerzt, bald vergessen. Nachdem wir uns drei Wochen in R. aufgehalten, ging es nach Wien, weil mein Schwesterlein an einer Gottseilob nur mäßigen, bald abgelaufnen Pleuritis erkrankte.
Eine kurze, unausstehliche Zeit verbracht ich in Wien, um dann die oben skizzirte Reise anzutreten, auf der ich mich verhältnismäßig recht wohl befand. An Max W. hatte ich einen liebenswürdigen sympathischen Reisebegleiter.
― Am 2. August heiratete Charlotte. „Ich hatte nichts empfunden.“ ―
Verlobung Rudolf Latzko mit Lina Scharf.
Tod des alten v. Ludaßy.
Anfang September trat ich als Hospitant auf der Abtheilung für innere Medizin bei Standthartner ein. Recht angenehme Abtheilung. Der Chef ganz charmant, voll Interesse für die Kunst und auch theilweise für die Medizin, die Secundarii höchst erträgliche Menschen.
Heute trat ich als Aspirant bei Benedikt (Nervenpathologie) ein.―
Auch einige Privatpraxis, fast nur in Vertretung des Alten. Fühle mich den Patienten gegenüber sehr sicher; trotzdem ich die Unzulänglichkeit meines Wissens und Könnens sehr wohl einsehe. Zu fleißiger Arbeit hab ich mich noch nicht aufgeschwungen ― lese jetzt fast ausschließlich belletristisches, gehe recht häufig ins Theater. Der Verkehr recht unzulänglich. Auch mißliebige Elemente in der täglichen Kaffeehausgesellschaft, aus der ich mich mit einer lächerlichen Energielosigkeit nicht herauswinden kann. So oft ich mich mit Fanny M., es geschah zwei, drei Male, aussprach, wurde mir wohler, ich fühlte mich freier, besser; die Zukunft hatte mehr Aussichten.―
Gesundheit so so.―
Richard T. hat sich bei mir noch nicht sehen lassen, was mich sehr verstimmte.
November
Chronik der Abende: