Donnerstag, 11. Mai 1882

11/5 Donnerstag Mg.― Mir ist, als hätt, ich zu früh gelächelt ― wenn ich jene überschwenglichen Tagebuchblätter aus der Zeit wo mein Verhältnis mit Fännchen in Blüte stand, wieder durchles ― Ich habe beide Fanys öfters in der letzten Zeit gesehn ― es geht furchtbar confus zu zwischen uns allen ― gestern bei M.s hatte uns Fany M. beinahe auseinander gesegnet ― wir fühlen aber doch die Kraft nicht in uns, das entscheidende Wort zu sprechen ― jeden Moment heißts: Ja was soll denn draus werden ― und … gleich darauf gehts wieder hin und her in den zärtlichsten ja leidenschaftlichsten Worten, Blicken und Geberden.

― Ja was soll’s werden? ― Ich würde mir nicht so viel den Kopf zerbrechen … aber so ’n junges verliebtes Mädchen aus der bekannten „anständigen“ Familie ist wirklich bedauernswerth … Aber doch ahn’ ich etwas … Ein kleines Briefchen hatt’ ich gestern für sie bei mir ― da ich nicht daran dachte, sie so ungestört sprechen zu können. Ich gab es ihr. Es lautet:

Ein ausführlicher Brief, mein süßestes Mädchen, ist das nun allerdings nicht, was Du da bekommst, aber was ist denn überhaupt ausführliches an uns ― außer meine Liebe zu Dir. Du mußt mich fragmentarisch nehmen wie ich bin ― vielleicht bist Du zu den verschiedenen Bruchstücken meines Wesens die Fortsetzung? Ich glaube zum mindesten, Du hast das Talent dazu ― Aber es ist ja eine Haupteigenschaft des Talents, dass es nicht gehörig benützt wird. Wenn aus diesem Briefe etwas wie ein Vorwurf in Deine geliebten Augen schimmern sollte, ― sei überzeugt, es gilt nur den Verhältnissen, nicht Dir. Und somit tausend Küsse auf Deine Engelslippen. A.

― Sie hatte den Brief sehr wohl verstanden und kam hochgeröteten Gesichts in den Salon zurück, wo ich beim Clavier sass… leidenschaftlich und verlegen zugleich sprach sie in hingeworfenen Worten weniger über den Brief selbst ― als über die Deutung, die leicht herauszulesen war. Mit nervösen Fingern strich sie mir durch die Haare, nahm mich bei der Hand, ich küsst die ihre ― bald sah sie mich an, bald blickte sie, ans Piano gelehnt, zu Boden … und im Zimmer nebenan spielte die „anständige“ Familie Tarock … Und es ist doch nur die „anständige Familie“ und ihre ganz begreiflichen Traditionen ― durchaus nicht die „Moral“ ― die über so manches wacht … Und doch…

Dann kam auch Fany M. wieder dazu ― … „Was soll draus werden ―?“