Freitag, 30. September 1881

30/9 Freitag.― Gestern wurde ich assentirt, tauglich befunden ― und bin in diesem Momente beurlaubter Einjährig-Freiwilliger im Inf.-Regiment Hoch ― und Deutschmeister, Nr. 4.― Nachmittag im …garten ― mit Marie J. Genussvoll! Herrliches Gekose! wunderbare Küsse. Mit einer Art feurigem Raffinement meiner- und hingebender Süßigkeit ihrerseits.― Marie J. ist ein im Dorf auferzogenes Mädchen; aber durch die Nähe der Großstadt, den häufigen Verkehr mit ihren da lebenden Verwandten und den Wohlstand im eigenen Hause hat sie so manches angenommen, was das Bild einer Dorfschönen verändert, ohne es aber zu trüben. Sie hat ein bischen Verstand. ein bischen Bildung und sehr viel Gemüt: ein paar Stücke Biscuit, die in ein großes Glas weißen Weins getaucht sind ― so daß einem die Bildung und der Verstand im Munde schon zergeht, wenn auch noch lange das Gemüt auf der Zunge prickelt. Sentimentalität wechselt mit einem gewissen leichten Übermut, beides aber spielt in etwas abgeblaßten Farben ― Sie ist ein Typus, jedoch ein verwischter. Ihr Herz ist nicht tief, aber klar … oder vielleicht so klar, daß man trotz der Tiefe bis auf den Grund sehen kann.― Ihre geistigen Reize können wenig fesseln ― sie scheinen gleichsam nur als letzte Striche auf dem Bilde dazusein während ihr Äußeres … selbst geistreichen Männern gefallen könnte. Eine mittelgroße, jugendlich üppige Gestalt … aber ohne eine Spur von vornehmer Haltung, ein frisches, rotes Gesicht mit einem leisen Anflug von Feinheit, stille blaue Augen, ― eine Fülle von wunderschönem blondröthlichem Haar, in Zöpfen durcheinandergebunden ― und vorn zierlich geschneckelt über die Stirne fallend ― ein Mund, nicht sosehr zum Sprechen, als zum Küssen geeignet, eine Zunge, wenig beweglich beim plaudern, aber oft zwischen den Zähnen und Lippen hin und herfliegend, besonders wenn sie irgend etwas neckisches sagt oder thut und mit sich zufrieden ist.― Ein gewöhnliches Mädchen mit einem Wort, deren ich aber hier doch mit ein paar Sylben gedenken mußte, da ihre Erscheinung wenn auch nicht mit dem vollen, glutenden Athem der Liebe, doch mit dem zarten Hauche duftender Sinnlichkeit an meiner Jugend vorbeistreift.

Karl Z. ― gewann gestern das Los (4159) zum Mitfahren auf Godards Luftballon, durfte aber von Amts wegen, da er minorenn ist, nicht mit, und verkaufte es um 60 Gulden. Heute sind die sonderbarsten Sachen über ihn in den Zeitungen zu lesen ― er ist „Doktorand der Philosophie“, „unternehmungslustig“, „Sohn des ― Oberlandesgerichtsrat Z. ―“ etc.