Sonntag, 27. Juni 1880

27/6 Sonntag früh.― Holder Spucknapf meiner Stimmungen und Verstimmumgen, nie versiegender Bronnen meiner Gemütlichkeit und Ungemütlichkeit, Kanapee, auf dem sich mein Sinn und Unsinn schläfrig geärgert oder in lieblicher Erinnerung hinstreckt ― du mein Tagebuch, sei mir gegrüßt…―

„mich sieht ― obwohl ich noch an Jahrem jung Mit blasser Miene dieses Leben an ― Ich weiss nicht recht was mich erfreuen soll, Was kommen kann, ins unzufriedne Herz Den Jubel eines schönern Seins zu gießen. Um selber nicht in Langweil zu vergeh’n, Will ich in Versen, was bis heut sich zutrug (es ist so kühl und so gewöhnlich) will Das schale Zeug erzählen, um es los Zu werden. Abend ging ich in den Garten, Wo sich das Volk vergnügt, und was noch häufger Wo es sich nicht vergnügt. Ein junges Mädchen, Ihr Nam’ ist Fany , sass auf einem Sessel, Daneben das geliebte Elternpaar (Sie warens nemlich, die die Maid gezeugt) Es gingen Wort und Worte hin und wider Gleichgiltger Art ― doch war uns beiden anders. Verstohlen, gleichsam nur aus Augenwinkeln, Vorblitzend aus dem matten Schein der Blicke Flog Ahnung und Erinnerung hin und her, Und wagte nicht, sich länger zu verweilen. Mein ganzes Ich verweilte nicht mehr da, Indem es in die Lange Gass’, Stadt Wien Zur Zuckerkandl Kneipe auf sich machte.― Ich schritt fürbass mit umgeworfnem Mantel, Noch einen Blick auf meine Mädchenblume, Und auf die Blum’, die ihr am Busen steckte Als Angebinde meiner Lieb’ und Treue Rückwerfend. Eugen , Jacques , und Rudolf Geleiteten zum Kneiplocal mich hin In Trubel Lärm und wütger Trinkerei, Die auf student’scher Stufenleiter rasch Zu völligem Gesauf sich aufgeschwungen, In Wortschwall, Händeklatschen, Liedersingen Versank ich schier; ich schwankte hin und her, Und schwamm vergnügt in dem willkommnen Bad. Jedoch verlässest du ein solches Wasser, So greift dich bald ein simpler Schnupfen an, Den man zumeist mit lächelndem Gesichte Den Katzenjammer nennt, weil selbst ne Katz, Säh’ sie in einem solchen Zustand dich Müsst jammern und verzweifeln.― Ich fuhr ab, ’s war eben Schluss der Kneip’ und Geisterstunde In ein Kaffeehaus wandelt’ ich ganz einsam Um mich aus halbem Rausche aufzuraffen, Mit losen Dirnen schwatzt’ ich, trank ’nen Schwarzen, Blies Cigarettenrauch in die höchst sündge Luft Erzählte auch von sonderbaren Reisen, Wie ich einst auf dem Meere Schiffbruch litt, Durch einen Urwald nach New York mußt wandern Und log so durch ’ne Stunde fort, Bis ich den Hut kühn auf die Stirne setzte Und heimwärts eilte; da die Nacht vorbei, Sitz ich nun wieder vor den Blättern da, Und schreib’ ― und klage; denn ’s ist klagenswürdig, Von nichts in wahrstem Sinne sagen dürfen: Dies nenn’ ich mein! An diesem freu’ ich mich.“