Donnerstag, 1. April 1880

1/4 Donnerstag Abend.― Ging mit Fanny Vorm. zwei Stunden spazieren. In entlegenen Gegenden. Unsre Geister blieben leider in den bekannten Gegenden. Leider.― Leider in den nicht entlegenen Gegenden. Geht das langweilige Geschimpf wieder an? Glaubst du Narr du, daß ein andrer als du an all dem Schuld ist? Was ich unter dem „all das“ alles begreife? ― Wäre sehr aufgelegt, höchst epikureisch in den Tag hinein zu leben. Nur einmal ist der Mensch jung. Und diese Jugend wird mehr versehnt als genossen. Eben weil man danach sich sehnt, was nicht genossen werden kann. Man sollte einige Zeit lang recht toll glücklich sein ― und dann möglichst rasch seine irdischen Sachen zusammenpacken, & ade schöne Welt. Dann wäre sie wirklich schön gewesen.―

Für die nächste Zeit werf, ich alle Poesie in die Ecke, um mich „vollständig“ in Polypen, Medusen, Krebse etc. etc. einzubeißen. Oder besser gesagt ― ich will nichts schreiben, weil mich das Schreiben (warum zum Kuckuck so bescheiden ―: das Dichten) eben ganz erfüllt.― Ich hätte noch manches auf dem Herzen. Aber das Schwätzen hier vertreibt wohl die Zeit, erleichtert aber nicht besonders. Wenn ich mit Fännchen beisammen bin, so könnt’ ich in Worten das Herz erleichtern; ich finde die Worte wohl; doch sprech ich sie nicht immer aus. Warum? Die Seele gibt sich oft selbst Räthsel auf.

― Bevor ich weiterschreibe, hab, ich eine Weile nachgedacht. Es flimmerten Worte vor meinem Auge hin und her, die eben durch ihren Mangel an Selbstvertrauen vielleicht hätten selbstbewußt aussehen können.― Hol mich der Teufel ― der Teufel, der einen höchst ironisch unreinen Reim mit Zweifel bildet. Von rechts wegen sollts nicht zwei Worte geben, die sich besser und reiner reimen als Zweifel und Teufel. Denn der Zweifel ist der Dämon unsres Jahrhunderts und hängen hätte die Menschheit den sollen, der sie gelehrt, sich um ihre Seele zu kümmern. Ich hab’ hier nicht den allgemeinen Zweifel im Sinn, die pessimist. Philosophie, obwohl sich alles auch darauf beziehn ließe sondern den Zweifel an sich selbst. Die allergescheidtesten sind und bleiben einmal die Schafsköpfe.― Der berühmte „Taumel des Genusses“ ist nicht zu verachten, und wenn der ehrenwerte Gemeinderat der Stadt Wien statt des Hochquellenwassers Lethe in die Residenz geleitet hätte, er hätte gut daran gethan. Nun in weichen Liebesarmen einzuschlummern, wäre süßer Trost.― Jetzt ist mir aber geradeso wie einem Kerl, der vor einem hohen Zaun steht, springt, springt und springt und doch nicht drüber kommt. Denn ich habe doch ― bei ? ― nicht gesagt, was mich quält. Denn mich quält was, und wenn ich mir auch beinah den ganzen Tag vorplauschen will: Theurer Freund, du redest dir das nur ein ― ich fühle, so wahr ich das Blut in meinen Pulsen fühle, ich fühle ―

Da stehn wir nun wieder.

Und schließlich eine Null zu sein.

„Vor jedem Menschen steht ein Fläschchen, darin sind gar verschiedene Tröpfchen und Tropfen ― doch der immer getrübte Blick der Sterblichen vermag die Tröpfchen und Tropfen nicht recht auseinander zu kennen. Einzeln sie zu nehmen versucht er; ― doch fehlt ihm das Verständnis; das ganze Fläschchen mit einem Mal zu leeren getraut er sich nicht. Wir leben nicht aus dem vollen, das ist das Unglück; die Erbsünde der Menschheit ist das Tüfteln.“