19/3 Freitag. Abend.― Wahrhaftig, „das Christentum hat sich nicht entwickelt, sondern verwickelt“. Es wäre keine üble Aufgabe, zu untersuchen, wie viel der Egoismus der Pfäfferei an der edlen Einfachheit der Evangelien verschnörkelt hat. Allerdings bezieht sich das Wort „edle Einfachheit“ auf die Sprache, das verschnörkeln auf den Sinn. Die Wunderthaten, die von Christus erzählt werden, sind entweder natürlich zu erklären oder auch der Phantasie begeisterter Jünger zuzuschreiben. Jesus mag wohl auch mit seinen Jüngern im Einverständnis gewesen sein und durch sie manche Kunde haben ausstreuen lassen ― aber immer nur in der Überzeugung, der Menschheit dadurch unendlich viel gutes zu thun. Jesus Christus war ein edler Mensch. Er dachte: Wenn die Welt sieht, daß ich in den Tod gehe für etwas, so wird sie dieses etwas für etwas gewaltiges halten und wird etwas haben, woran sie sich klammern kann. Und die Welt damals, diese morsche, verwesende Welt! Mag das Römerreich auch damals noch nach außen hin gross dagestanden sein, ein gutes Ohr hörte schon die Würmer knuspern und nagen.― Aber was für einen lächerlichen Popanz haben die theils selbstsüchtigen, theils blöden Pfaffen aus Jesus gemacht. Zuerst läßt man ihn von einer „unbefleckten Jungfrau“ geboren werden. Die gute Maria war verheiratet, schenkte dem Josef, ihrem Manne ein halb Dutzend Kinder ― und mag eins von diesem halben Dutzend, wie aus dem Ev. Matth. mir hervorzugehen scheint ― einem andern geschenkt haben. Dieses Kind wäre Jesus Christus gewesen. Auch scheint die heilige „Jungfrau“ ein ziemlich unbedeutendes Gänschen gewesen zu sein, das für die hohe Mission oder wenigstens für den hohen Geist ihres Sohnes wenig Verständnis gehabt hat. Die Prophezeiungen vor Chr. Geb. sind wenig beglaubigt; denn ich halte die Evangelien für poetisch schön, also für historisch sehr unverläßlich. Über die Wunder hab, ich schon meine Ansicht geäußert. Jesus Christus war sehr geistreich und es finden sich Aperçus von ihm, die geradezu an das heutige französ. Drama erinnern. Er war zu geistreich um an einen Gott zu glauben. Er liess sich aber kreuzigen, um der Welt den Glauben an diesen Gott zu geben. Er mußte es thun, denn die Welt hatte keinen Halt mehr. Er opferte sich.― Er hatte großes schauspielerisches Talent; und nie hat ein Mensch zu einem so wohlthätigen Zweck Komödie gespielt, als Jesus. Er hatte umfassende mediz. Kenntnisse. Durch seine Jünger liess er manche Nachrichten über sich verbreiten, die ihm den Weg bahnten. Er that mehr für die Menschen, als sie verdienten. Besonders als die Esel verdienten, die aus den Evangelien nebensächliches hervorzerrten und den ethischen Gehalt über Äußerlichkeiten, die Wesenheit über einem Epitheton ornans vergaßen. Nun aber hat sich das dümmere Volk einmal an Hostien, Taufe, Beichte und ähnlichen blöden Kram gewöhnt, und man thäte Unrecht, ihnen das abgewöhnen zu wollen. Von dem wahren Jesus Christus kriegen sie ja doch keinen Begriff. Wenn man einfach dabei geblieben wäre, die Leute glauben zu lassen, es würde ihnen „oben“ gut gehn, wenn sie auf Erden ein miserables Leben führten, wär’s gut gewesen. Aber das abscheuliche Fressen von Oblaten, die Pflicht einem Schafskopf von Geistlichen Dinge zu erzählen, die ihn gar nichts angehn. Und der maßt sich das Recht an zu verzeihen! Die unverschämtesten Individuen sind aber die Nachfolger Petri, Vertreter des sog. lieben Gottes auf Erden. Doch darüber ist schon so viel gesagt worden, daß jedes Wort überflüssig ist.― Ich muß gestehen, es ärgert mich geradezu, wenn ich irgend ein altes Weib in einer Kirche sehe, mit einem dummen Gesicht, sich bekreuzigen und ähnlichen Firlefanz treiben. Und doch doch, sie müssens haben.― Na sehe jeder, wie er mit sich fertig werde. Mich wird nichts in der Welt von meinem Glauben kuriren, daß im großen Hofstaat des Weltendaseins einzig und allein der Zufall das große Wort führe. Und hätte nicht der „heilige Geist“ (oder wie frivole Kerle sagen: der Liebhaber oder Mann) mit Maria (die übrigens hübsch gewesen zu sein scheint) ― intimen Umgang gepflogen, der geniale Jesus Christus hätte das Licht der Sonne nie gesehn und all das wunderliche mährchenhafte Zeug würde uns nicht erzählt ― und ― und ― und in alle Ewigkeit. Es kann doch ein Menschenleben von einem Regentropfen abhängen. Erbärmlich. Und in dieser Erbärmlichkeit großartig!