Sonntag, 3. November 1918

3/11 S. Alarmirender Aufruf des Nationalrats, wegen der drohenden Gefahren; dazu allerlei Notizen und Telegramme. Gerüchte (z. B. von 12000 ausgebrochnen ital. Gefangnen Anmarsch auf Wien, zugleich dementirt);― O. völlig außer Fassung, telefonirt wegen Pässen ― frägt wegen Bahnverkehr an;― will in die Schweiz, nach Bayern;― beruhigt sich allmälig ein wenig.― Das gefährlichste, fast unmöglich wäre jetzt eine Reise.

Ins Volksth. Mit Bernau Besetzung des Bernhardi besprochen; Rosenthal dabei. Bolschewikisorgen in der Direction; wir verabschieden uns in allerlei trüben Aussichten.―

Zu Julius. Karl von der Front zurück; an Grippe erkrankt im Bett. Wir besprechen alle die Lage und sind uns über die Bedenklichkeit klar.―

Nach Tisch Frau Patak, bringt Nachrichten wegen der jüd. Nationalgarde und ähnliches; man solle ruhig,― aber auf alles gefasst sein. (Es ist gut, daß man manche Gerüchte zu spät erfährt. Bernau erzählt mir heute morgens, daß gestern in der Stadt verbreitet war, Abends werde das Cottage geplündert werden!)

Fr. Glöckner-Kramer bringt mir die Bitte ihres Manns um Bernhardi. Er hat am 1. als neuer Director in Prag glücklich debutirt; die Czechen waren officiell in der Vorstellung;― dort ist alles ruhig.

Jacob kommt; glaubt nicht an die Größe der Gefahr. Ich sage ihm viel über seinen Roman, den ich eben ausgelesen, und der außerordentliches, ja einziges enthält.―

Gegen Abend Specht.―

N. d. N. Schmutzers, Schönherr und Julie Wassermann.― Julie erzählt komisch von ihrer Fahrt nach Tulln heut früh (ein Offizier kam ins Coupé, warnte die Damen: 30.000 Gefangene ausgebrochen, plündern … etc… die Damen ergreifen fluchtartig das Coupé [!] ―), von der B. Th. Krise (durch Michel informirt); Schönherr von seinem Conflict mit der Direction;― dann wird die Situation und die „Maßnahmen“ besprochen. Schmutzer erzählt folgende Geschichte, die Engelhart (Maler) persönlich erlebt. Aus dem Anstandsort Schwarzenbergplatz tritt, noch mit der Ordnung der Toilette beschäftigt, ein Bürger ― in dem Moment kommt eine Schar mit rother Fahne vorüber. Der Bürger … ganz paff ― Ja, was is denn ―? Ein andrer zu ihm: Ja, sehns des nicht? Umsturz is!― Der erste (immer ordnend): Was is ―? Umsturz? Der andre. Na ja. Umsturz. Der erste: Was denn für ein Umsturz:― Der andre: Na Umsturz halt ― mehr waß i a net. Schönherr folgert daraus, dass in Wien kein Boden für Bolschewikismus!―

1918-11-03