Mittwoch, 5. Juni 1918

5/6 Vorm. während Kolap bei mir, kommt O. herein, spricht absichtsvoll über das große Verständnis W.s für sie, der sie gelten lasse und nehme wie sie sei; erklärt, sie sei eine einfache, normale Natur. K. spricht von ihrer Unruhe, und ihrer Art, Unruhe zu verbreiten worauf O. sofort ungnädig verschwindet.― K. über diese Art, absolut keinen Widerspruch zu vertragen ― und wie rätselhaft daß eine so ungewöhnlich kluge Frau sich selbst so gar nicht kenne.

Ich lese Nachm. Kerst, Beethoven; schreibe weiter am Nachklang (Beginn O. W.); Abend spaziere ich in die Felder und ruhe auf einer Bank „Windmühlhöhe“.―

O. kommt von Landesbergers (die morgen nach Ungarn reisen); wir sind allein beim Nachtm. (Heini im Volksth. bei Lbl.) ― da ich (auch aus Heiserkeit) schweigsam, beginnt sie: „Mir thut’s so leid daß es dir so schlecht geht … Ich möchte dir so gern helfen … Die K. sagt, du dictirst schon Wochen lang nicht …“ Ich: Wenn es dir beliebt, kannst du diese Periode wieder als Klimakterium bezeichnen, aber es wird wieder ein Irrtum sein.― Sie: „Ich weiß, das schönste kommt erst …“ Dann … „Darf ich reden ―“ Ich: Du hättest schon früher dürfen. Sie: „Es war ein Unrecht, daß ich neulich (auf die Geburtstags„versöhnung“ anspielend) wieder einen Weg zu dir suchte … was sollen wir, was soll ich thun … Mein Leben ist noch nicht zu Ende … und unsre erotischen Beziehungen sind es …“ Ich: Nicht meine Schuld; daß sie nach 18 Jahren anders sind als früher ― natürlich ― allgemeines Los ― Du bist es die sich fernhält ― mich fernhält.― Sie gibt zu, mit Absicht. Und wieder. „Also was thun. Die Geschichte der Mädi F. hat mich nachdenklich gemacht. Man sollte sich trennen, eh es zu spät ist.“ ― Ich: Ganz meine Ansicht. Dir längst bekannt. Ich hab auch nicht die geringste Lust zu warten, bis du einen Liebhaber hast. Sie wehrt sich gegen den Ausdruck;― und warum ich gerade daran denke u. s. w. Ich: Warum sich was vorspielen … Dein Leben noch nicht aus … u. s. w. es hat die,― und in dem Zusammenhang unsres Gesprächs nur die Bedeutung.― Sie: „Also was, soll ich darum rechtlos sein ― Fort?― Die Kinder―! Gib mir Rath!“ ― Nicht ich habe unsre Beziehungen aufgegeben;― warum einen Rath von mir verlangen? Über materielles braucht überhaupt nicht gesprochen zu werden … Du selbst hast übrigens sehr richtig gesagt, man müsse sich trennen, eh es zu spät;― und ich kann mir ein weitres Zusammenleben Thür an Thür, jeder mit seinem Privatleben, ich als der „betrogene“ nicht denken, und wünsche es nicht. „Du warst es nicht … aber ich will meine Freiheit ― du müßtest es verstehen … gerade du!―“ Gewiß; ich verstehe dich vollkommen,― und du mußt auch mich verstehen. Übrigens bist du ja selbst für Trennung ― also wozu sich im Kreise drehen? Alles zugleich ― kann man eben nicht haben.― „Auch ertrag ich die Verantwortung nicht ― daß ich deine Arbeitskraft lähme ―“ Und doch ist es so: über mein Ohrenleiden, über allen Aerger über die furchtbare Zeit komm ich hinweg ― es hat sich immer wieder gezeigt;― nur die Gestaltung unsrer Beziehungen … Und diese Veränderung ging keineswegs vom „erotischen“ aus. Du weißt es ― deine tiefe Unzufriedenheit ist es immer wieder gewesen, die diesen Druck über uns brachte;― deine Erfolglosigkeit in deiner Carrière;― deine Neigung, meinen Namen,― ja mich selbst dafür verantwortlich zu machen;― der dir in jeder Weise zur Seite stand und dir bei all deinen wechselnden Plänen keine Hindernisse in den Weg legte. Nicht ich habe dich von einer „Tournée“ abgehalten;― du warst es, die von den Concerten in kleinern Orten (mit Recht) angeekelt zurückkam;― nicht ich habe dir verboten ein Engagement an irgend einer Bühne anzunehmen;― du hast gefühlt, daß du den Widerwärtigkeiten eines Bühnenlebens nie und nimmer gewachsen sein würdest … Du bist eine wahrhaft problematische Natur, indem du alles zugleich besitzen möchtest und dich in keiner Situation wirklich ― relativ dauernd befriedigt fühlst.― Weiteres aus dem Gespräch. Sie. „Ich kann und könnte auch deinen Argwohn, dein Mißtrauen nicht ertragen.“ Ich: Das ist nicht sehr logisch: Du selbst theilst mir mit, daß dein Leben nicht zu Ende,― daß du frei sein willst ―,― und nennst es Argwohn, wenn ich annehme daß du deine Freiheit auch zu benutzen gedenkst?!― Sie spricht von ihrer Aufrichtigkeit;― eine andre etc… Ich: Ich erkenne diese Aufrichtigkeit an,― aber es ist immerhin zu bedenken, daß „Lügen“ in unserm Fall eine ganz aussichtslose Sache wäre, da ich ja auch „wüßte“,― ohne „draufzukommen“.―

Später, im Bett, weint sie sehr. „Ich bin sehr unglücklich.“ ― Und ich ―? Da du ein weitres Zusammenleben ablehnst ― und ich es nicht mehr wünsche,― ergibt sich alles weitere von selbst. Damit ging ich.

1918-06-05