Mittwoch, 7. März 1917

7/3 Nebelwetter. Dictirt Fr. d. R., Sohn.―

Zu Richard, der verkühlt und nicht wohl. Keine Freude am Leben; frägt sich, ob seine Arbeit so viel werth war, dass er darum sich und den Seinen so viel versagt; dass er mit Paula nicht gereist, sich nicht genügend um Erziehung seiner Kinder gekümmert (theilweise ungerechte Selbstvorwürfe). Ich sage ihm: Was Sie da aussprechen, erschüttert und empört mich. Rechne ihm die Spezialgründe seines Glücks vor ― Frau, Kinder, Haus, mater. Sicherheit u. s. w.,― und seinen Fehlschluss: Denn er hätte ebenso viel, ja vielleicht mehr arbeiten können, wenn er gereist wäre u. s. w… Er spricht von dem Gefühl seiner Mission, seiner „Versklavung“,― seinen Gewissensscrupeln wegen des zu wenig Arbeitens, er fühlt sich immer als Schulschwänzer.― Ich erläutre mich in meiner Gegensätzlichkeit; als Dilettanten;― trotzdem ― ein Beweis dafür, dass doch Production die Wurzel meines Wesens ― denk ich an mein Ende, schließt sich als erstes der Gedanke dran (vor Frau und Kindern ―) „und was hätt ich noch alles zu machen“ ― Dann von meiner Fähigkeit, eine Cigarette, einen Spaziergang, das Frühlingsgrün als Lebensfreude zu empfinden ― trotz meiner Melancholie, meiner nicht unbegründeten Verdüsterung („Mein Ohrenleiden allein würde Sie zum Selbstmord treiben“). Er nennt mich vitaler, elastischer als sich.― Dabei strahlt und strotzt er vor Persönlichkeit. Es gibt kaum einen andern, der als Mensch so leuchtet, so einleuchtet. Ich liebe ihn sehr.―

Mit O. Nachm. (die mit einer leichten Luftröhrenreizung liegt) über Richard;― sie glaubt in Richards Mangel an Erleben die Wurzel seines Mißgefühls zu finden ― nennt sogar seine Ehe unglücklich. (Was nicht, oder nur von wo anders her stimmt.) Sie frägt nach meinen Arbeiten; ich spreche von der Krise in meiner Production; meiner wachsenden Unlust oder Unfähigkeit etwas fertig zu machen; materiellen Unsicherheiten (nebenbei) ― der Qual meines Ohrensausens ― Sie erwidert in manchem klug ― doch im allerletzten verschließt sie sich irgendwie ― wie auch ich mich, bei allem „Aussprechen“ nicht völlig mehr ihr auf- und erschließe.― Schuld ist nirgends ― wenn nicht die Gesetze der Entwicklung schuld sind.

Am „Nachklang“.―

Vicki zum Thee.―

Ein Nachtgespräch mit O. Von der Fr. d. R. ausgehend ― was ich mit ihr jetzt erlebe, paradigmatisch für meine Production jetzt. Ein Sprung geht durch den Spiegel. O. spricht außerordentlich klug von einer klimacter. Periode meines Schaffens; nach der sie meine reinsten und klarsten Werke erwarte. Meine Hypochondrie, von Krankheitsgedanken sonderbar angewandt heftet sich nun an meine Arbeit ― und nicht zum wenigsten an meine Beziehungen zu O. Angst- und Zwangsvorstellungen seit jeher das daemonische Erbtheil meiner Seele;― ein allgemein dichterisches Loos, bei mir patholog. gesteigert. Gerade für mich müsse die Epoche von 50-60 die schwerste sein; insbesondre, da ich jünger als meine Jahre. Über unser Verhältnis; Ehe im allgemeinen sagte sie außerordentliches. Kaum jemals gab es zwei Menschen, so klar über sich selbst, über ihre gegenseitige Beziehung;― und doch, was hilft alle Klarheit? In solchen Gesprächen erheben wir uns über uns selbst; es kommen gute Tage, zärtlichste Kameradschaft; und nächstens sind wir den bösen Geistern wieder hilflos preisgegeben; ich bewußter und doch krankhafter;― sie minder bewußt und gesünder.

1917-03-07