12/11 S. Manchmal möchte man glauben, dass auch ein Lebenslauf künstlerischen ― oder wenigstens rhythmischen Gesetzen folgt. So hat in meiner Existenz das Jahr 1912, in dem ich in mein fünfzigstes Lebensjahr trat Epoche gemacht, u. zw. in ungünstigem Sinn. Herbst 1911 gab es den düstern Auftakt: Tod der Mutter.― 1912 brachte, nach 3 mindestens äußerlich trefflichen Jahren (1910 Hauskauf, Medardus (und Anatol!),― 1911 weites Land) den (äußerlich, materiell) stärksten: Bernhardi. (Am Erstaufführungstag stirbt Brahm ― während des 3. Aktes.) „Komoedie der Worte“ folgt 1915; das beste davon war schon 1911 vollendet. Auch der Graesler wird vor 1912 fertig, nur nicht gefeilt. In der Wahnsinnsnovelle sind deutlich pathologische Züge nachzuweisen. Sonst ist kaum was abgeschlossen worden, allerlei angefangen, aber die gesammte Production bekommt etwas dissolutes. Die wichtigsten Förderer und Freunde meiner schriftstellerischen Laufbahn sterben 1912: Burckhard, Berger, Brahm. Jeder in seiner Art bei allen Fehlern bedeutend;― wie ihre soidisant Nachfolger bei allen (wenigen) Vorzügen ― kleine Menschen: der eine (Thimig) Beamter und Hofschauspieler mit schauspielerischer Begabung; der andre (Barnowsky) ― Commis und Schmierencomoediant mit (etwas) Regietalent;― beide, bei gelegentlichem Respekt, ohne innere Beziehung zu mir.― Der Widerstand gegen mich, in der Kritik, bei den „Jungen“ und „Jüngsten“ wächst; der Weltkrieg gibt (so unsinnig es scheint!) willkommene Vorwände; das zeigt sich schon bei der Berliner Aufführung des Med.;― dann bei der Kom. d. W.― All dies hat „tiefe“ und „oberflächliche“ Gründe. Die „Anhänger“ aus früherer Zeit fallen ab, oder sind lau. Im Verlag selbst spricht sich die Gegenströmung vorläufig unterirdisch, gelegentlich wohl auch unverkennbar aus. Materiell macht sich all dies auch schon bemerkbar.― Das Ohrenleiden schreitet vorwärts ― ob auch hier 1912 eine Etappe bedeutet, ist nicht sicher, aber möglich. Dass in diesem Jahr die Beziehungen zwischen mir und O. erheblich zu leiden anfingen ― dass diese seelischen „Unstimmigkeiten“ mich gegen sie oft ungerecht machten ― sosehr, dass ich zwangshaft geneigt war, ihr eine Schuld an meinen Arbeitsstörungen zuzuschreiben, bezeichnet die Wende vielleicht am stärksten. Ich habe nun die Wahl (hab ich sie?) dies alles als Symptome des Abstiegs zu betrachten ― oder als ein ― freilich recht tiefes Wellenthal, aus dem es wieder ein Höhersteigen gibt ― und gern möcht ich den sommerhaft schönen Spätherbsttag, an dem ich dies niederschreibe ― nach einem Spaziergang Neuwaldegg, Sophienalpe ― Hütteldorf, mit umgehängtem Röckel! ― als eine gute Vorbedeutung nehmen ― dafür, dass vielleicht eine schwere Krise überwunden wird ― und bessere Zeiten kommen. Manches spricht dafür. Wachsende Freude am Produciren ― insbesondre an Stoffen in leichterer und höherer Atmosphäre. Die „Wiederkehr“, die der Vollendung nahe, mag als Vorstudie zu bedeutenderem gelten ― Weiher vor allem. Vielleicht gelingt es mir auch für modernes den meiner jetzigen Verfassung gemäßen Stil zu finden ― wie? ist mir freilich noch unklar. Auch die Cas. Novelle verspricht im Entwurf gutes. Und manches spricht dafür, dass auch mein Verhältnis zu O. (das ja doch immer, auch in den schlimmsten Perioden seine schönen Höhen und Glücksmomente hatte) wieder wird, was es war ― und wofür in ihr und in mir so viele Vorbedingungen gegeben sind ― Freundschaft von Liebenden. Und dazu die Kinder―! Es ist doch nicht alles nur der sommerwarme Herbsttag!―
― Nm. an „Wiederkehr“.―
Mit O. und Gund Volksheim. Prof. Reich holt uns ab. O. sang sehr gut. Stephi mit uns heim, nachtm. bei uns.