Dienstag, 2. August 1904

2/8 Vm. fuhr ich mit O. in die Stadt, vorbei an einer Tramway, auf der Salten. Sein Gruss, in dem sich, da er ganz unvorbereitet war, seine Antipathie rückhaltlos verrieth. Seltsames Verhältnis.―

Nm. „Neue Ehe“ flott begonnen.

Mit O. Prater, Spitz, traurige Landschaft; zum Constantinhügel, soupirt.― Über Salten.― Unsre Entfremdung, je weiter wir kommen. Zu erklären durch seine Empfindung, mindestens ebenso viel, vielleicht mehr zu sein als ich und durch misslichere Verhältnisse an der vollen Entfaltung seines Talents gehindert zu sein. Sein Wissen, dass er jedenfalls weniger gilt als ich ― und in der tiefsten Tiefe sein Wissen darum, dass er eben wirklich ― vielleicht nicht weniger ― aber jemand auf einem andern Niveau ― das Wort könnte mißverstanden werden ― innerhalb eines andern Zirkels ist. Als Persönlichkeit etwas interessantes, als journalistisches Talent im besten Sinn vielleicht bedeutend ― als Künstler ohne Eigenart. Sein Talent aber so beträchtlich, seine Energie (bis zur Verbissenheit) so heftig, dass ihm möglicherweise auch besseres gelingen wird als mir … Und doch, irgend etwas letztes … das geheimnisvolle, das einen Organismus durchdringen muss, um den wirklichen Künstler zu ermöglichen … fehlt. Alle einzelnen Fähigkeiten sind vorhanden: Individuen zu sehn, Stimmungen zu empfinden, eine Handlung episch oder dramatisch zu componiren,― und auch der Löffel ist da, all diese Fähigkeiten und andre durcheinander zu rühren ― aber im letzten Moment fehlt der Hand mit dem Löffel die Kraft.― Im Bewußtsein dieser Thatsache ist er immer auf dem Qui vive; aber nicht das allein ist der Anlass seiner immer wachen krankhaften Empfindlichkeit besonders mir gegenüber. Dinge, die er sich vor 12 Jahren zu Schulden kommen liess, die ich sozusagen längst vergass, kann er nicht vergessen; vielleicht auch trägt er mir nach (das möcht ich nicht beschwören) dass ich ihm in finanziellen Calamitäten nicht immer, und nicht immer so rasch beigestanden bin als er (nicht ganz mit Recht) glaubte verlangen zu dürfen. Oft auch fühlt er sich (dies nicht mit Unrecht ― aber nicht ohne Schuld seinerseits) von mir vernachlässigt,― und hat sich (auch mit Worten) über meinen Egoismus beklagt, der sich ihm gegenüber in einer Nachlässigkeit meiner Beziehung zu ihm aussprach. (Bemerkungen Olgas die seine Frau mißverstand trugen dazu bei, ganz harmlose, wie: „Arthur hat gesagt, er wird sich jetzt Salten (zu irgend einem Spiel) abrichten.“ …) In dem „bekannten“ Reigenfeuilleton sprach sich nun endlich seine langgehegte Gereiztheit oeffentlich ― und doch für die andern unmerklich aus. Er wußte, wo ich am verletzlichsten bin ― besser vielleicht als die meisten andern. Als vor ein paar Jahren ein Artikel von Brandes über mich erschien, sagte ich zu Salten: Was mich an diesem Artikel am meisten freut, ist, dass Br. im Gegensatz zu den inländischen Kritikern, welche mich immer beinahe als den süßen Mädel Dichter einkasteln, von meiner „Vielseitigkeit und meiner Erfindungsgabe“ spricht. Darauf Salten. „Natürlich. Diese Schlagworte (süßes Mädel etc.) haben nur ihren Klang und ihre Verbreitung dort wo man eben zu Hause ist und schafft ― im Ausland kümmert sich niemand drum ―“ Und siehe ― das Feuilleton (er las es vorher allen möglichen Leuten, aber nicht mir „es soll Sie überraschen“ vor) war durchaus auf dieses Schlagwort hin geschrieben ― und endete ― 8 Jahre nachdem ich den Reigen geschrieben … mit den Worten. „So darf er uns nicht wiederkommen …“ Ich schrieb ihm darauf einen Brief, in dem das Wort Perfidie nicht vorkam, aus dem er es aber wohl herauslesen konnte; er erwiderte geschickt, ich versöhnlich, und so wohnte er schon ein paar Tage später der Vorlesung des E. Wegs bei. Und, auch das muss ja gesagt werden, so oft ich mit ihm zusammen bin, gewinnt mich der Charme seiner Persönlichkeit und oft thut es mir geradezu leid, dass wir uns verloren haben. Denn ich glaube, ein andres Wort gibt es hier nicht mehr. Bei jeder Zusammenkunft muss erst eine leichte Befangenheit überwunden werden, und nichts ermüdet mehr zwischen Menschen, die einmal beinahe Freunde waren.