Freitag, 2. Juni 1893

2/6 Mz. bei der Thür, gibt mir einen Zettel, und rennt weg. Der Zettel lautet.

„Wenn es gegen Abend ist und so ein furchtbarer Tag vorbei; da beginne ich wieder angstvoll zu rechnen. Da packt mich die qualvolle feige Furcht, bei dem Gedanken, was mir der nächste bringt. Sag schöpfst du denn deinen ganzen fürchterlichen Muth, deine heroische Seelenstärke einzig aus meiner Niedertracht? Wenn ich denke, dass ich immer immer von dir getrennt sein soll während um mich her der Frühling ist so gibt mir das übermenschliche Kraft den Kampf gegen die Geschicke aufzunehmen und um mein Glück zu streiten bis es mir mein letzter Athemzug versagt.― Dein Herz kann doch unmöglich eine wüste ausgebrannte Trümmerstätte sein, unter der Asche muss doch ein Fünkchen glimmen; es kann doch nicht alles todverdorben zu Grunde gerichtet sein.― Es gibt doch noch etwas höheres als den Körper der Venus, die Gluth der Sinne, es gibt doch noch Liebe, die an keinen Körper gebunden ist, an keinen einzelnen Reiz, die nur die Seelen harmonisch verbindet ― ich bitte dich ― laß die doch nicht untergehen… Ich bitt dich wie ein Kind, ich bitte dich auf den Knieen, ich gebe ja alles alles dafür, eine glänzende Zukunft ein Wohlergehn im Alter, ich will nicht wissen was mir der morgige Tag bringt, darf ich dir heut die Hände küssen. Ich bitte verzeihe mir wenn ich in meinen ungeheuern Schmerz mich einzuhüllen trachte ― es sind berückende Phantasiebilder. Du hast mir ja gesagt, es ist unsühnbar, du hast mir’s gross geschrieben, ich habe es hundert Mal gelesen. Ich muss austrocknen, in mir zerfallen und vergehen hat mir auch mein namenloses Geschick meine eklige Gemeinheit zugleich alle Tugenden mitgebracht zugleich meine Lebenswurzel von den wurmstichigen Theilen befreit mich in gute Erde gesetzt. Ach es ist um den Verstand zu verlieren.― Ich flehe dich an, lasse mir das in’s Kastl werfen, es ist der einzig hellere Moment, ich bitte dich gönne ihn mir. Ich glaube dann einen Moment deine Luft zu athmen ich mach’ mir an der Thüre zu schaffen, die du du du täglich passirst, ich höre dich athmen.― Im Herbst geh ich ja fort und kann dein Haus nicht mitnehmen.― Ich habe oft das Bedürfnis mich auf ein Postament zu stellen als warnendes Beispiel für die ganze Welt ich glaube Lug und Betrug wären dann zu Ende.― Bitte verzeih es ist ja 1/100 von dem was ich schreiben möchte ― ich kann weder sagen noch schreiben was in mir vorgeht ich hasche nur nach einer Minute Erleichterung, ich finde sie nirgends so lange ich leben werde.“―

Ich schrieb ihr, kam in Wuth, stilistisch gesteigert.

1893-06-02