Samstag, 27. September 1890

Salzburg 27/9 1890.

Heute vor 8 Tagen, Morgens kam sie an. Wurde ihrer Mutter vorgestellt, bin täglich für viele Stunden mit ihr zusammen ― allein kaum Minuten; vergehe also noch außerdem in physischen Qualen. Während ich diese Zeilen schreibe, ist sie fünf Minuten weit von mir.― Im Theater, Probe zum Landfrieden. Ich bummelte, nachdem wir sie verlassen ― sie verschwand mit den typischen Provinzmimen und Actricen hinter dem engen Thore ― mit ihrer Mutter an der Salzach hin und her. Wie traurig ist das alles!― Dabei schieden wir eigentlich nicht freundlich. Mich hatte wieder einmal meine Eifersucht auf das vergangne gepackt und ich hatte sie zuerst mit meinen Worten, dann mit meinem Schweigen gequält ― Es ist aber auch zu erbärmlich ― ich habe ununterbrochene Kopfschmerzen, ich leide unmenschlich. Der Gedanke, wenn wir auf einen Moment warten, wo ihre Mutter verschwindet: Ebenso hat sie damals gewartet ― Und ich frage sie immer aus, selbstquälerisch, dumm, aber ich muss es thun ― und sie will nicht mehr antworten, und ich zwinge sie dann brutal dazu ― Dann schimpf ich sie gemein zusammen, möchte sie erwürgen ― Dann sehn ich mich wieder nach Ruhe, nach Vergessen, glaube ihr, will sie nicht nach der Moralitätsschablone messen ― Glaube ihr sogar, daß sie mich mehr liebt, was ja sicher ein Unsinn ist! ― ― Ununterbrochen verfolgen mich die Bilder.― Jenen ersten kenn ich nicht. Wie muß sie ihn geliebt haben! Er hat sie ja verführt!― Und wenn ich denke, wie ich heuer im Sommer, wenn ich zu ihr hinausfuhr, stets vor dem Stationsgebäude aussteigen mußte, in welchem sie verführt worden ist! Daß ich vor dem Fenster hinundherging, hinter dem es geschehn ― Und er wurde ihr zuwider. Sie verliebte sich in Theodor F. meinen guten Freund ― sie löste die Verlobung mit dem ersten ― um ihm gehören zu können. Und dieser gute Freund erzählt mir von dem hübschen Mädel zu einer Zeit, wo ich noch keine Ahnung von ihrer Existenz, ihrem Namen habe. Erzählt mir von seinen Rendezvous mit ihr, von ihrer Sinnlichkeit. Und schließlich fragt er mich um Rath, wie er sie los werden soll. Und ich frage ihn zugleich ― ja ― wie ich Jeanette!― Und ich schlage ihm scherzhaft einen Tausch vor. Und während er schon daran denkt sich zu verloben, sie wegzuschmeißen, wie man eben eine langweilig gewordene Geliebte weghaut, hängt sie an ihm, liebt ihn ― gehört ihm an ― während die Mutter daneben in der Küche ist ― gehört ihm an ― noch am Tage, bevor er das letzte Mal oben ist, um ihr das Ende, seine Verlobung anzuzeigen. Und sie will sich umbringen! Er hat sie „fürs Theater“ ausbilden lassen ― wohl schon in der Idee, dadurch von vornherein jede Verpflichtung los zu sein.―

Und sie kommt zu mir mit einer Karte von ihm, ein paar Tage nach dem Bruch ― und wenige Wochen drauf der erste Kuss. Nun ja, wir beide brauchten Liebe. Und bald darauf mein! ― Und plötzlich ihre Angst ― und sie will lösen ― Und dann wieder mir nach und mein, ja mein ― Und dann ― fast verlobt ― bis die Episode ihrer Schwangerschaft und eine immer heftiger werdende Liebe zu mir kommt, und wir nahe daran sind, wirklich glücklich zu werden.― Aber kann man es mit dieser Vergangenheit?― Kann mich ein Weib glücklich machen, das je einem andern gehört? ― Alles, was ich jetzt fühle, denke, schreibe, trägt den Stempel dieser fixen Idee ― Und wenn sie in meinen Armen in heiligster Trunkenheit schwört und ― was ja viel mehr ist ― selber glaubt, daß erst ich sie die wahre Liebe lehrte ― was hilfts?― Sie hats auch früher geschworen und geglaubt.― ―

Nun, diese letzten Tage verschlimmert sich mein Befinden noch erstens dadurch, daß ich nicht ungestört mit ihr sein kann ― und dann, weil ich sie verlassen muss. Und dann ― der Beruf!―

Und nun geh ich hinüber in den Gasthof, wo sie mit ihrer Mutter wohnt, und oben, mit ihrer Mutter, werd ich sie erwarten, bis sie von der Probe kommt ― Und sie wird mich mit thränendem Blick anflehen, ich solle ihr gut sein, und sie sei verloren ohne meine Liebe und ich ― und ich? ―

[Chronik September]

27. Bei Mz. früh, Mittag, Nachm.― Spaziergang mit der Mutter.― Nachher bei ihr ―

Auf dem Gang 1. Goldmann, Bazar.