Freitag, 17. Jänner 1890

17/1 Freitag Nachm.―

Mein Vater nach schwerer Lungenentzündung wieder genesen. Stehe miserabel mit ihm. Die Gegensätze immer brennender.― Habe ihn vertreten; mein Widerwille gegen Publicum, Aerzte, Praxis Medizin erheblich gestiegen; schaudre vor der Zukunft. Meine liter. Ambitionen zu Hause ungern gesehn, ewiges unleidliches Verhältnis. Dabei noch keine Erfolge aufzuweisen. Schade mir (sagen sie) ― dass ein Arzt, ein praktischer Arzt Gedichte macht, darf man nicht wissen (Reinhold, die Schauspielerin soll nämlich nächstens was vortragen von mir). Mir aber ist jetzt meine Bahn klar. Ich bin mit der Medizin innerlich fertig. Ich weiss ― etwas spät ― tauge absolut nicht dazu. Mich ekelt vor den Patienten, vor den Collegen, vor allem, was mich an den Beruf erinnert.― Bin allerdings sehr überempfindlich geworden durch die horrenden Aufregungen der letzten Wochen. Also der Bruch mit Jeanette! Was da alles vorherging! Scenen enervirendster Art, Selbstmordkomödie, Eifersuchtsscenen ― endlich ist es doch aus. Jene letzte Nacht bei ihr! Nachdem sie mich Abends aus der Wohnung hatte holen lassen. In der frühe, so um fünf ging ich weg, auf immer. Kalt und traurig. Sie weinte still.― Und ich war „frei“!―

Manchmal Sehnsucht, nicht eigentlich nach ihr, aber nach der stillen gemütlichen Zeit, wo wir uns gern hatten, mit einander soupirten und dann in das Bett schlüpften und sehr sehr selig waren. In der letzten Zeit waren es doch Paroxysmen nur, nicht mehr die Zärtlichkeit aus dem Herzen.―

― Nun, Mizi. Unser Verhältnis wurde viel intensiver; litt und leide unermeßlich unter der Eifersucht auf die Vergangenheit. Dabei eine erst vor zehn Tagen abgelaufene Episode der riesigsten Aufregung; sie war schwanger ― das ist nun glücklich vorbei! ― In der Zeit aber gewann ich sie so recht lieb ― ein süßes entzückendes und wirklich gutes Geschöpf. Und dabei schön, berauschend zum Wahnsinnigwerden. Jetzt ist sie Abend für Abend bei mir auf Viertelstunden und Stunden. Aber die Vergangenheit blitzt wieder höhnisch mitten in meine glücklichsten Momente. Manchmal freilich alles gut, wenn sie, mir zu Füßen mir die Hände küsst, oder wenn wir spazieren fahren, oder zusammen in irgend einer Vorstadt beim Nachtmahl sitzen ―

Sonderbar wars, als sie Theater spielte im Conservatorium; da stand sie oben auf den Brettern, schön, aber die Stimme war ganz fremd.― Theodor F. schon von der Hochzeitsreise zurück ― er sah mich offenbar neulich mit Mizi in einen Wagen steigen.― Hel. H. mischt sich eigenthümlich herein ― also sie hat richtig alle Partien meinetwegen ausgeschlagen ― sonderbar wie ich vor ein paar Wochen oder gar Monaten von Mizi kam, ganz trunken, und ins Theater zu Lear zum dritten Akt komme. Plötzlich zwei große schwarze Augen auf mir aus einer Loge.― Helene ists, schön, weiss, mit einem warmen, tiefen Blick. Ich wurde nur vergnügt. Dann meine Cousine, meine Schwester, viele andre, die mich nicht begreifen.― Auch materielles spielt mit; das ist nemlich ganz unklar.―

Olga hat mir zwei mal Rendezvous gegeben, im Theater ― ich kam nicht.― Auch Adele Sp. einmal; ich kam gleichfalls nicht. Mit Mz. Rosner jedoch hab ich dieser Tage einmal soupirt; sie that wieder, als wenn es doch möglich wäre!―

Abends meist im Café Scheidl. Fritz, der Adele noch immer wegen der misslichen Geldverhältnisse nicht heiraten kann.― Paul Goldmann, der zwar seine Marotten hat, aber voll Güte, nicht ohne Originalität, mit literar. Verständnis begabt ist, und manchmal wirklich Geist und scharfen Witz hat.―

Ja, ganz schreckliche Tage waren das, wie ich im Wagen umher fuhr, für Papa Besuche machen, dabei die Sorgen mit Jeanette, und mit Mizi hatte. Nun ist das für den Moment gut; aber diese unleidlichen Verhältnisse zu Hause! ―

[Chronik Jänner]

17. Mz. bei mir. ([Adc.] 1.)