Mittwoch, 18. September 1889

Wien, den 18. September 1889, Mittwoch.

An jenem Sonntag, dem 8. September Spaziergang mit Olga, Zappert, Spielters, Anna W. und Gesellschafterin. Ich mit Olga meist voraus. Ich erzähle ihr die Scene mit ihrem Manne. Sie ist wüthend, insbesondre über seine Bemerkung: „mit andern als mit Ihnen macht sies auch so.“ ― Dann: Es geht nicht so weiter, ich muss Sie sehen… Sagen Sie mir, dass Sie mich lieben; ich hör es so gern… Wie könnt ich einen andern so fragen.― Erinnerungen an Meran… Nach Hause.―

Am Tag drauf (9/9, Montag) Vormittag in der Kanzlei mit Olga; sie ist „wüthend“ auf „ihn“.

Komm nach Wien, Brief von Miza, sie kommt heut Abend.― Ich Abend zur Bahn. Fahre mit ihr im Prater spazieren, Herbstabend, soupiren in der Wirtsstube beim Hirschen.― Ich führ sie nach Hause. Vor dem Fenster. Sie wirft mir wieder einen Brief herunter. Alles wieder vergessen ― Jean. ― Olga!

Am 10. 9. Dinstag Mittagessen im Hirschen (Wieden) mit Mz. Abends nach Hietzing. Wir fahren zuerst weiter; im Wagen wechseln Scenen der berauschendsten Zärtlichkeit mit wüthender Eifersucht. Der Gedanke an ihre Vergangenheit macht mich toll. Wir speisen draußen ― einen unvergeßlichen Rostbraten! ― Ich begleite sie nach Hause; sie hat Angst mich fort zu lassen.― Sie bittet mich, droht mir, ich bin ein Schuft, wenn ich sie betrüge, ― wenn ichs nicht bemerke, schlägt sie ein Kreuz über mich. Wir spazieren in den nächtlichen Straßen hin und her; sie will dem Kutscher befehlen, er müsse mich direct nach Hause bringen.

Am 11. 9. Mittwoch kommt ein Brief der Schwester Jean.; ich solle rasch zu ihr, sie ißt nichts, spricht nichts, liegt zu Bette.― Ich fahre mit Miza nach Neulengbach.― Wie immer wechselt das Bild. Bald unermessliche Liebe, bald Stürme. Ich werde sie verlassen, wie jene andre ― u. s. w.

― Wie wir in Nlgb. aussteigen, ist Mz.s Bruder da; ich werde zufällig getroffen. Sie ist ganz toll; schickt den Bruder jeden Moment weg, wir küssen uns ― sind glücklich.― Ich fahre in Wien zu Jean., die tief verstimmt zu Bett liegt. Die alten Scenen!―

Am 12.9. Donnerstag wieder eine Scene, mit Jean., nachher in die Volkstheatergeneralprobe mit Goldmann, treffen nachher, zufällig, die am Volkstheater engagirte Mizi Rosner, gehen mit ihr in den Stefanskeller soupiren. Sie ist sehr herzig und zeitweise zärtlich, unter einem langen heißen Kuss führ ich sie im Wagen nach Haus’.

Am 13. Freitag gehe ich wegen Miza, der eigentlichen, zum Verschwender. Sie sitzt oben in der Loge mit Mutter, der Selliers, dem Onkel derselben, ist berückend schön.― Im Zwischenakt stürzt sie auf den Gang, raunt mir zu, dass ich sie um ½10 erwarten solle. Ich thue es, begleite sie auf die Bahn; kaum im Wagen springt sie mir an den Hals; ich lieb sie nicht mehr ― Auf der Bahn.― Sie holt ihre Schwester ab.― Ich seh beide von fern.― Ich fahr dann wieder zu Jean. Ich habe so die Empfindung, als wenn ich lieber mit ihr wäre, als mit Mizi. Ich fühle keine Eifersucht mehr dort, es ist die brutale Liebesseligkeit, die befreit, ohne zu ängstigen und zu quälen. Dagegen fühl ich in den Armen Jean. die wahnwitzigste Eifersucht auf Mz. Jean. theilte mir mit, dass sie am 1. Nov. in Engagement gehe ― ― sie fängt an einzusehen, dass ich das Verhältnis mit ihr lösen muss ― sie „weiss“, dass ich nur auf den Willen meines Vaters hin heiraten muss; und ich „muss“ sie auch weiter besuchen, auch wenn ― ich verheiratet bin!―

Am Tag drauf (14.9. Samstag) kam Mz. in die Ordination zu mir; Anfangs wieder jenes sonderbar fremde zwischen uns.― Ihre Schwester ist gestern angekommen. Ununterbrochen macht man Anspielung auf mich, spricht von mir.

― Es kommen neue Pat.; Mz. raunt mir noch rasch zu, sie werde mich da und dort erwarten ― Wir wandeln nun spazieren, es sind ein paar schöne ungetrübte Momente.― Nur lastet jene Lüge, die ich kenne, und die ich ihr nicht vorwerfen kann.

― Ich folge ihr noch, wie ich sie verlassen habe, die Nähe schon ist beseligend ― dann wieder miteinander ―

― Abd. gehe ich mit Jean. und Goldmann in den grünen Anker ― und dann zu Jean. ―

Am Sonntag (15) Nachm. erwarte ich Mz., die mit ihrer Schwester kommen soll.― Mein Diener: Eine Dame erwartet mich unten. Ich eile hinunter ― Im Hausflur steht ― Olga!― Es gießt. Wir setzen uns in einen Wagen. Wir küssen uns wahnsinnig! ― Der Kutscher ist betrunken, bleibt jeden Moment stehen, kann schließlich nicht weiterfahren.― Wir sind in Ottakring, nehmen da einen andern Wagen ― Sie sagt ― ich liebe sie nicht mehr! ― Ich finde innerlich, dass sie recht hat.― Ich eile nach Hause, wo mir sofort zwei Damen gemeldet werden.―

Auguste und Mizi treten in mein Zimmer. Auguste erkundigt sich nach dem Befinden ihrer Schwester, deren Arzt ich bin. Dann schickt sie ihre Schwester ins Nebenzimmer, sitzt freundlich mit ihren schönen Augen neben mir.― Sie zieht ein kleines Päckchen aus der Tasche… Kennen Sie das? ― ― Ich gestehe lächelnd zu, dass es meine Briefe sind.― Sie bittet mich, ihre Schwester nicht wiederzusehen, ganz mild und liebenswürdig ― Sie erklärt es… Ich schweife im Gespräch wieder ab; Mizi kommt herein, steckt die Briefe ein, es entwickelt sich nun zu dreien eine etwas befangene Conversation, ohne dass der Sache eigentlich Erwähnung gethan wird. Man hat das Gefühl, als wenn man sich nicht böse wäre.― Wir scheiden als gute Freunde. Mz. hat mir ein beschriebenes Fließpapier in die Hand gedrückt. Solle ihr zum Burgtheater folgen.― Komme dorthin; wir sind beide von einer seltsamen trügerischen Hoffnung beseligt; es ist uns, als wäre das Gewitter ohne Schaden vorbei gegangen.― Wir sind guter Dinge; Abd. im Theater, Alpenkönig und Menschenfeind, wo sie mit der Selliers ist, welche ich hasse, treffen wir uns wieder. Ein paar Worte draußen am Gang; wie sie dann wegfährt.― Tags drauf am 16. Montag in einer Conditorei nah ihrem Hause. Sie hat sich unter einer Ausrede davongemacht, in Hauskleid und Pantoffeln.― Anfangs zanken wir uns natürlich ― sie gesteht, wenn sie mich verlässt so gestern z. B., als der Wagenschlag zufiel, hatte sie das Gefühl ― so ― jetzt denkt er nicht mehr an mich ― u.s.w. Also gerade wie ich.― Wir fahren dann noch ein bischen spazieren, sie schmiegt sich an mich.―

Gestern 17. erhalt ich einen Brief von Auguste, sie habe mir nicht alles sagen können. Sie müsse mich aber fragen, ob ich gesonnen sei, ihre Schwester zu heirathen? In diesem Falle … etc. Dagegen wenn ― u. s. w. u. s. w.

Nun entwickelt sich da ein sonderbares Dilemma.―

Auguste hat ein gutes Recht so zu schreiben. Sie hat keine Ahnung, dass ihre Schwester keine Jungfrau mehr ist, schon keine war, bevor ich sie kannte. Kommt man nun auf das Wahre unsres Verhältnisses, so muss sie mich für den Verführer halten. Ich wieder kann ― so scheints mir ― nicht sagen: Ich bin der erste nicht. Eine unglaubliche Situation. Ich kann nicht sagen: Ich kann sie nicht heiraten, weil sie vor mir die Geliebte eines andern war! ― Nicht nur wegen Mizi, auch wegen Theodor kann ich nicht.

― Auch aufgeben kann ich Mz. nicht, weil ich sie zu gern habe. Wir haben uns hundertmal geschworen, dass uns alle Versuche der Schwester und der Mutter nicht auseinanderbringen werden ― Während diese äußern Umstände drohen, quält mich eine entsetzliche Eifersucht und ein ewiges Mißtrauen. Ihre Vergangenheit bringt mich um. Wie eine Zwangsvorstellung quält mich das Bild, wie sie Theodor am Halse hängt. Ich bin noch eifersüchtiger auf seine Schläge als auf seine Küsse.― Natürlich glaubt sie jetzt, mich mehr zu lieben als jemals ihn. Aber es ist nicht wahr. Dabei bringt mich zur Raserei, dass sie mir nicht alles sagt; ich weiss ― dass vor Theodor ein andrer da war, daß Theodor ihr nie die Heirat versprochen hat, wie sie jetzt mir gegenüber markirt, sie schämt sich aber allzusehr, mir zu gestehn, dass es noch einen gegeben hat. Aber ich werde es aus ihr herauszwingen!―

― Dazu noch Jeanette! Die mich peinigt und mir zugleich furchtbar leid thut! ― Das „arme Mädel“ das ich nun dastehen lasse! Sie weiss, dass es die „letzten Tage“ sind. Sie bittet mich in jedem Briefe, ich solle doch jetzt wenigstens häufig mit ihr zusammen sein, sie weint und spricht in bittern Worten von der frühern Zeit! Ich habe manchmal das Gefühl, als wär mein Herz völlig zerfleischt! Ganz ― physisch ―

― Dann auf der andern Seite Medizin ― Poesie ― Weder das eine, noch das andre! ― Die öde Zukunft vor mir, komischerweise plagt mich fabelhaft stark die Idee, dass ich tagtäglich um sieben Uhr aufstehen muss ― Ich bin ganz abgespannt manchmal, hab eine verzweifelte ewige Unruhe.

Richard E. ist zur Stelle.― Wie ich mit ihm beim Nachtmahl sitze und plaudere.―

Dann zu Sch. ― Pokerpartie drin im Gastsaal. Hr. und Fr. Sch.; Olga und ich.―

[Chronik September.―]

18. bei Jean.; bei Gisa genachtm.

1889-09-18