Sonntag, 18. August 1889

18/8 Sonntag Abend ― Reichenau.

Ein sonderbarer Tag ging eben zur Neige. Ich komme von einer Fußpartie mit meinem Bruder und Dr. Paul Goldmann zurück und bin in ― Reichenau. Gestern Abend kam ich an. Die Partie war so vergangen ― plötzlich war ich da.― Und Olga trat auf. Leseprobe. Aber das Spielen mußt, ich ablehnen (wegen des Trauerfalles). Ich empfand gestern so gut wie nichts. Heute Vormittag ging ich auf die Post. Zwei jammervolle Briefe von Jeanette. Nichts von Mizi. Von dieser hatt ich seither noch einen Brief ― in Eisenerz (aus Ischl nachgeschickt). Dasselbe wie im ersten ― und etwas wunderbar tröstendes: „Ich liebe dich unendlich ― ich bleibe dein“ ― Die ganze Reise hindurch verfolgte mich ihr Bild, u. zw. zumeist, so wie ich sie am letzten Tag gesehen: auf dem Waldwiesenplan ― plötzlich in die Knie sinkend ― im rothweißen Schlafrock ― ohne Mieder. Jeanette erschien mir wie ein Traum, als wär es lang, lang vorüber! ― Und heute Nachmittag gabs ein Fest. Olga und andre ― Frau Schey, ihre Schwester, Frl. Naschauer standen beim Buffet. Ich daneben, trank Champagner, vertheilte Indianerkrapfen unter die Buben. Ein gelinder Rausch umfing mich. Ich war lustig. Und Olga mit ihren dunkeln Augen war neben mir. Einen Augenblick war mir wohl auch, als wenn wirklich sie es wäre. Und dann die Auction der Würste, Schinkenbrode, Semmeln. Es war wirklich fidel! ― Und als wir hinuntergingen, dem Thalhof zu, sagte sie: Haben Sie mich denn noch lieb? Und wir trugen zusammen die Cigarrenkiste. Und sie sagte, sie habe immer nur mich geliebt Es war höchst sonderbar. Dass aber dreiviertel meines Glücks, das ich bei all dem empfand, der Alcohol war, das ist eigentlich erbärmlich ―

Und nun sitz ich hier in meinem Thalhof ―Zimmer, und schreibe meine Notizen. Wie ist mir? Empfind ich wirklich etwas: Ich glaub nein ― Wenn ich überhaupt jemanden liebe ― ― jetzt ― eilf Uhr Nachts, 18. August 1889 ― (ich bin vorsichtig!!) ― so ist es Mizi, von der ich nichts höre, nach der ich mich wahnsinnig sehne ― Jeanette enervirt mich, der Gedanke an das weitre brächte mich zur Verzweiflung, wenn ich nicht so leichtsinnig wäre ― Und Olga ―? Ich weiss nicht! Wenn wir wieder Tage und Wochen beisammen wären ― möglich, dass ich sie wieder liebte. In diesem Augenblick nicht!― Und sie? Hat sie mich angelogen, nur aus Lust am flirten? Liebt sie mich noch? ― Leidenschaftlich gewiss nicht!― Da ― gegenüber vor mir ― mein Ruf durch die Nacht könnte sie erreichen ― schläft sie ― ich empfind nichts besondres. Kaum dass ich eifersüchtig sein könnte ― Und doch fühl ich mich in meinem Schmerz betreffs Mizi leicht gemildert.

Wirklich ―? Nein! Die Ungewißheit quält mich ― ich sehne mich hundertmal mehr nach ihr ― als nach allem andern Wenn ich jetzt in Olgas Armen liegen könnte, wär es da anders? Ich glaube ja Was ist dies alles? Was für Masken nimmt der dumme Trieb vor?

― Mir graut vor Wien.―

Mein Vater hat mir einen schlechten Abschied bereitet. Er kränkt sich, dass ich nichts arbeite. Mein literarisches Thun ist ihm Dilettantismus, der zu nichts führt.― Möglich ― Ja, möglich, dass ich nimmer was werde.― Aber es ist meine einzige große Sehnsucht, so für mich schaffen zu können. Wahrhaftig, erst später kommt der Ehrgeiz.―

Aber ich habe die ganze Zeit über nur mit Schaudern ― wirklich mit Schaudern ― nein, doch mit Widerwillen an meinen erwählten medizinischen Beruf gedacht. Und soll noch arbeiten! wissenschaftlich! Nie werd ich da was zu Stande bringen. Ein elender Winter liegt vor mir!― Und wenn ich nun nicht einmal den Trost haben soll, Mizi zu haben ―

Dinstag, ob ich nun einen Brief noch bekomme oder nicht ― bin ich draußen. Sie schreibt, dass sie meine Briefe nicht holen kann ― wahrscheinlich also wird sie nicht dort sein ― Ich werde also verzweifelt sein Und ich werde in Wien ankommen, und Jeanette wird mich quälen, mein Vater wird mich mißtrauisch beobachten ― mein Beruf wird mich langweilen, ― mein Schwager, mein Bruder, meine Schwester werden mich aneifern, werden mir sagen: So thu doch endlich was!― Und so wird das weitergehn! ―

[August Chronik.]

18. Sonntag. Reichenau Fest.―