6/5 Sonntag.―
Nachmittag zu Hause Fühle mich nicht wohl in Berlin. Wohl meistentheils Jean.! Sehnsucht; lächerlich! Sie schreibt mir beinahe tgl. 4-8 Seiten. Wahr, sicher; jedenfalls liebt sie mich echt. Manchmal gelingt es mir sogar zu glauben, dass sie treu ist. Zieht mich fabelhaft zu ihr nach Wien. Nur Gewohnheit? Doch nicht wohl möglich! Aber was wirds?! Es ist ja kein Absehen. Freilich wärs das klügste gewesen, kurzweg abbrechen. Aber ich kann einfach nicht ― unmöglich! Ich reise bald wieder nach Wien ― doch nur ihretwegen! Ueberhaupt hier wie meist verstimmt. Kein rechter Verkehr. Medizin regt mich eben nie wirklich an: was soll ich mich täuschen! Literarisch war auch nichts los. Von Theatern interessirt mich nur das deutsche. Ich beginne zu fühlen, dass nie und nimmer was aus mir wird. Ich bin muthlos, energielos, ohne Initiative und wohl auch schließlich ohne das wahre Talent. Ich versteh mich selber nicht, ich steh da und lass mich treiben. Sie habens zu gut, sagen die Leute, Ihre Wege sind geebnet ― Es scheint auch, ich bin blasirt! Ich habe hier keine großen Eindrücke empfangen ― Trotzdem ists mir manchmal, als wenn mich in Wahrheit nur eines störte ― das ist sehr traurig, was ich jetzt sage: mein Beruf, zu dem ich nicht tauge. Zu dem mir Wille, Fleiss und wirkliche Fähigkeit fehlen, und der mir doch meine beste Zeit, meine beste Kraft und all meine Laune stiehlt. Aber Brod, Brod muss man verdienen, und da mir die große Elastizität schließlich auch noch mangelt, belastet von dem Druck der medizinischen Eindrücke, Arbeiten oder auch nur Stimmung nach aufwärts zu fliegen; da ich weiters eine hypochondrisch übersensible Natur bin, weiterhin noch ein Mensch, der lächerlich an seinen kleinen und großen Gewohnheiten hängt, ein Mensch schließlich ohne einen Funken wahrhafter Thatkraft, so wird es recht dumm und läppisch mit mir enden. Weinen könnte ich über dieses, ach ja! es ist so, über dieses verfehlte Leben. Wer weiss: vielleicht steckt doch was wahrhaft gutes in mir, es kommt mir manchmal so eine Ahnung ― aber es wird nichts, es bildet sich nichts ― ich komm nicht weiter!―
Fortsetzung des Berliner Tagebuchs (London 24/5)
6/5 Sonntag. Ausstellungsgarten mit Eysler und Rosenberg. Die Polin Wally. 2.