Mittwoch, 19. Oktober 1887

19. 10. Mittwoch Abends.―

Am 5. September verfolgte ich im Verein mit Kuwazl, mit dem ich manche Abende verbracht hatte ein junges Mädchen ― Sie frappirte mich durch ihre Art und Weise zu reden und gefiel mir ausnehmend. Sie wurde zwei Tage darauf meine Geliebte und fesselte mich durch ihre überzeugende Sinnlichkeit, durch ihren Mutterwitz und manches andre. Wir attachirten uns enorm, und wenn wir einen Tag nicht beisammen sind, so spüren wirs schon. Sie verbringt viele Nächte bei mir, und ich empfinde es mit viel Annehmlichkeit, wenn ich Morgens aufwache, und es liegt mir so ein süßes Mädel in den Armen ― Dann geh ich auf die Abtheilung, komme wieder herunter, und finde sie noch, schlummernd oder aufwachend, mit wollüstigen Augen in meinem Bette.― Ich war ― resp. bin natürlich noch auf alles mögliche eifersüchtig, ― über ihre Vergangenheit hab ich mich genugsam geärgert, obwohl sie im Grunde anständig ist ― Auch war ich einmal bei ihr ― in ihrer ärmlichen Wohnung, wo sie mit ihren drei Schwestern lebt ― und fand in diesem Vorstadthaus mit seinem Ausblick auf das mondbeschienene Wien viel Anregung ― Die Lebensgeschichte Jeanettens ― jüngst erzählte sie sie mir ― hat des anziehenden und rührenden unendlich viel; sie war reizend, wie sie mir alles so einfach erzählte ― Man kann sich im übrigen kein angenehmeres Verhältnis denken ― ein liebes hübsches Mädel, das nichts verlangt als mich ― das allerdings in ausgedehntestem Maße ― die Soupers in einem einsamen Stadtrestaurant oder in meinem Zimmer ― anfangs im Prater ― es wird mal was hübsches zum Erinnern sein.―

Dabei existirt Olga nach wie vor. Neulich 10. Oktober war ich sogar draußen in R., was mir außer einem Kuss zwischen Thür und Angel nichts nennenswerthes brachte. Ich spielte ihr Clavier vor; sie fragte mich, ob ich sie liebe u. ä. m. Ihr Mann war den ganzen Tag nicht zu sehen.― Gestern begegnete ich ihr in der Stadt ― sie hatte alleweil Angst ― wollte mir anfangs für heute ein Rendezvous geben.― Doch hab ich ― vielleicht wegen einer etwas spitzigen Antwort ― („oder ich schreibe Ihnen gar nicht“.― Wie es ihnen beliebt!) beim Abschied ― heute keinen Brief erhalten.―

Am 17. Sept. reiste ich nach Wiesbaden zur Naturforscherversammlung ― mit Papa, der Dinstag wieder zurückfuhr. Festmahl, Theater etc. Dann fuhr ich nach Frankfurt und München (Theater, Pinakotheken etc.), ohne besonders tiefe Eindrücke mitzunehmen. In Frankfurt war ich mit Frau Professor Benedikt und Tochter und spielte auf dem Göthe’schen Spinett einen Walzer, die ich jetzt zu Vierteldutzenden componire.

Am Bahnhof erwartete mich Jeanette.

Fritz K. und Adele C. mit ihrer riesigen Liebe. Fast verlobt. Sie schreibt glänzende Briefe.― Fritz’ frühere Geliebte Amy suchte mich auf, weil er ihr nicht schrieb; wir suchten ihn zusammen ― er gab ihr den Abschied. Es war eine schöne Scene bei Regen und Wind vor dem Josefstädtertheater. Ich empfand natürlich wieder die Decoration und das literarische erbärmlich heraus, besonders als Amy dann „mit der Dworzak“ nach Hause ging. Am Tage drauf war sie bei mir, als wär nichts geschehn; sie konnte es nicht glauben; sie sagte immer: Oh das thut er nicht o.ä.― Am Abend aber soll Fritz sie wieder tüchtig heimgeschickt haben.

Heute früh kommt Kuwazl zu mir ins Spital ― so verzweifelt als er es überhaupt sein kann. Eben war Kn. bei ihm, er weiss alles, hat die Briefe an seine Frau gelesen, fordert ihn aber nicht, weil er sich seinen Kindern nicht rauben will, und wirft seine Gattin auch nicht hinaus, wegen des Skandals; Richard soll aber ja keine Annäherung versuchen, falls er nicht todtgeschlagen werden möchte.

Richard H.s großartiger Hineinfall bei der Courtisane Blanche. Er verliebt sich immer in Courtisanen ― und das blödeste, bildet sich immer ein, von ihnen geliebt zu werden. Dann leiht er sich hundert Gulden aus, um sie einer nobel zu schenken. Die wird dann frech, ist angeblich schwanger von ihm, markirt sogar das dazu gehörige Erbrechen. Er sagt: Wie kannst du ein Kind ernähren, ― das mußt du verhindern!― Dann bringt er ihr wieder das bürgerliche Gesetzbuch, erklärt ihr, daß Fruchtabtreibung ein großes Verbrechen sei, und gibt ihr hundert Gulden, die er sich wieder ausleiht, um ihr zu beweisen, daß er nie so etwas gesagt ― worauf sie nicht mehr schwanger ist. Sie will ausziehen, weil sie in der Elisabethstraße für den Grafen X. besser wohnt ― dazu braucht sie noch vierzig Gulden, die sich Richard H. wieder ausleiht, und ihr gibt, um ihr zu zeigen, was für ein nobler Kerl er ist, worauf er sie verachtet und Abschied nimmt.―

Zwei Skizzen geschrieben „Erbschaft“ „Der Wahnsinn meines Freundes Y.“. Zu solchen novellistischen Skizzen noch massenhaft Ideen. Vielleicht dann als Buch. Papa will nicht, daß ich in Zeitungen mit meinem Namen novellist. veröffentliche, keiner würde mich dann als Arzt ernst nehmen.―

Bin halt als Mediziner noch immer nicht fleißig!!

Jenny (siehe Jenny ― Sophie ― Tini) traf ich, fragte sie Ja oder nein? Sie schrieb mir einen classischen Brief „Vielleicht später“ als Leitmotiv.

Gewöhnliche Tageseintheilung! 8 Uhr Visite bis zehn, dann entweder Herumbummelei in Lesezimmer oder Stadt (Zahnarzt) etc. oder wieder bis Mittag mit Jeanette. Mittags zu Hause. Nachmittag durch die Stadt bummelnd ins Spital auf die Abtheilung, dann auf mein Zimmer, russische Romane lesen oder was schreiben, dann wohl ins Caféhaus eine Partie Ecarté (Pichler), Billard, ― dann wieder in mein Zimmer, Jeanette erwarten, oder ins Theater, oder ein Besuch ―

Muss jetzt meine Zeit mehr sichten: arbeiten. Das nehme ich mir seit acht ein viertel Jahren vor.―

Adolf, der Nachmittag (selten) zu mir kommt, genießt jetzt weniger Sympathie von meiner Seite als früher.

[Les soirées d’Octobre]

19/10 Mittwoch. Bei Ludaßy Souper. Café. Pokerpartie.