Freitag, 28. Dezember 1883

28/12 Freitag Mg.―

Gestern Abd. waren Richard und ich bei Gustav Frieberger. Seine Frau sehr liebenswürdig; angenehmer Abend ― Er las den letzten Flittertag vor ― wahrhaftig ein novellistisches Meisterstück ― ein angefangnes Feuilleton ― seine bis zum Schluss des 1. Kapitels gediehne interessante Novelle „Falsches Spiel“ und einige Gedichte. Ich hatte einige Poëmata und Aphorismen mitgebracht, die sehr viel Anklang fanden ― Ich muss gestehn, dass ich eine Art von Neid empfand auf den jungen Mann ― der eben nichts zu sein braucht als Schriftsteller ― und es eben auch ganz ist ― Mais que faire ― ich darf jetzt nicht ― darf absolut nicht ―

Vor ein paar Tagen hatt, ich mit einer hübschen schwarzäugigen Agnes ein Rendezvous ― Es spielen ein paar Nebenumstände in diese Historie ein ― und man könnte sich recht gut in eine Vorstadtidylle hineinempfinden, wenn man dazu aufgelegt wäre ―

― Etwas literarisch sonderbares passirte mir neulich ― Mir fiel die folgende Novellenidee ein: Ein junger Mann ― Clavierlehrer ― schreibt eine Symphonie und sendet sie anonym an das Orchester der Residenz ― Er sitzt ― unbekannt ― ein kleiner Mensch ― im Zuschauerraum, als seine Symphonie mit Riesenerfolg aufgeführt wird ― Alles ist neugierig auf den genialen Componisten ― da tritt, nach dem letzten Satz, tief sich verbeugend ― ein bereits ziemlich bekannter Componist vor die Rampe ― Ah ― er also! ― Man jubelt ihm zu ― er verbeugt sich ― wird zwanzigmal gerufen ― man ist entzückt ― er ist ein Genie ― Sprachlos, rathlos vor dieser nie dagewesnen Frechheit sitzt der schüchterne junge Componist im Zuschauerraum ― halb verrückt rennt er weg ― Sein Liebchen, der er von seinem herrlichen Werk nichts verraten, trifft ihn unten, behandelt ihn kalt. Sie ist eine große Musikschwärmerin ― die neue Symphonie hat sie entzückt, den, der ein solches Werk geschaffen ― müsse sie lieben ― ― ― kurz und gut ― sie wird die Maitresse des gefeierten Componisten ― Das geht so eine Reihe von Wochen fort ― der arme Clavierlehrer lebt wie in einem bösen Traum - Endlich wirds ihm zu toll ― und er hat die Kühnheit aufzutreten und bei irgend einer passenden Gelegenheit in die Menge zu schreien: ― Ich habe diese herrliche Symphonie geschrieben ― Man lacht ― man ärgert sich ― man bringt ihn ins Irrenhaus ― er leidet an Größenwahn ―

― Nun erzählt mir Frieberger den Stoff der neuen Novelle in der Dtsch. Rundschau: „Geschichte eines Genies“ ― von Schubin ― Beinahe wörtlich meine Geschichte ―

1884

Jänner